Corona hat ausgerechnet Menschen getroffen, die vorher schon isoliert waren: Nämlich jene, die nicht das Glück haben, laufen zu können. Oder etwa Menschen, die nicht hören können. Eine wichtige Frage ist deshalb: Wie steht es eigentlich um Kultur und Barrierefreiheit? (Wie) können Hindernisse aus dem Weg geräumt werden? Zunächst muss man die Umkehrfrage stellen. Nämlich: Wo beginnen Barrieren? Häufig bereits in unseren Köpfen – in Form von bewussten oder unbewussten Stigmata, die in ausgrenzenden Begriffen verpackt werden. Zum Beispiel: der sich bewegende Mensch = die Norm. Der Behinderte = von dieser Norm abweichend.
Die Kölner Un-Label Performing Arts Company versucht, wie der Name sagt, dieses Schubladendenken abzubauen und gleichzeitig bei der Erschaffung von Kunst barrierefreie Mittel zu nutzen. Denn: Ausgrenzung beginnt schon in der Produktion. Durch ein paar Änderungen beim Zugang kann es gerechter werden. Zugegeben klingt „Zugang“ funktional – beinahe wie imprägnierte Schutzkleidung oder wie ein Venenzugang im Krankenhaus. Löst man ihn jedoch von seiner puren Funktionalität und transformiert ihn in dramaturgisch wichtige, künstlerisch-ästhetische Elemente, kann es durchaus spannend und integrativ werden. Via Gebärdensprache, Audiodeskription oder auch durch Untertitel kann so eine emanzipierte Wahrnehmung, die für alle Menschen gleich ist, ermöglicht werden.
Wer spricht, hat häufig das Sagen
Nun zeigt Un-Label vom 20. bis 22. Oktober einen Film jenseits der Schublade, eine Performance und weitere tänzerische und künstlerische Darbietungen, an denen zweieinhalb Jahre 350 Künstlerinnen, Expertinnen und Wissenschaftlerinnen mit und ohne Behinderungen herumgewerkelt haben. Heraus gekommen ist ein weltweit erstes, integratives Projekt namens ImPArt, das vom inklusiven und internationalen EU-Kulturprogramm „Creative Europe“ unterstützt wird. Unter dem Motto „All In“, auch mit der Unterstützung des inklusiven Sommerblutfestivals. Nämlich die Ausstellung „Re:construction“ (ab Dienstag, 20.-22.10. 17-23 Uhr) und die darauf folgende gleichnamige darstellende Installation von (18.30-19.30 Uhr); sie thematisiert inklusive Kommunikation: Narrative Fähigkeiten gelten stets als Eintrittskarte für alles. Wer spricht, hat häufig das Sagen. Doch wie sieht die Umkehrseite aus? In „Re:construction“ wird der Spieß umgedreht, indem Sprachlosigkeit zum Dreh- und Angelpunkt von Kreativität wird. Mehr noch: Da Wortlosigkeit oft in unvorhersehbaren Situationen, die jenseits unserer Kontrolle liegen, auftritt – etwa bei Angst oder Unfällen – wird die Kontrolle hier dem Menschen entzogen. Stattdessen wird sie an die Sprachlosigkeit höchstpersönlich übergeben, mittels zerstückelten Videos und bruchstückhaften Geräuschen.
Ein weiteres, dabei entstandenes Projekt ist „Gravity (and other attractions)“, eine Audiodeskription, die metafiktional in die Performance integriert ist. Zudem tragen andere Elemente dazu bei, dass auch Menschen Dinge wahrnehmen können, die sie sonst außen vor wären. Z.B. durch „Visual Vernacular“ („Sehen statt Hören“) – gleichzeitig ein Inhalt des Symposiums am 21.10.: eine Art visuelle, auf ikonischer Symbolik, Gesten und Mimik beruhende Kunst für Taubstumme, die ursprünglich auf den gehörlosen amerikanischen Schauspieler und Regisseur Bernard Bragg begründet ist. Denn wer denkt, nur weil man nicht hört, könnte man auf der Bühne nicht mitmischen, liegt falsch. Bei diesem Symposium können Interessierte in Form eines Workshops durch den tauben Schauspieler Eyk Kauly sich praktische Anleitungen zu jener Kunstform aneignen. Ein weiteres Mittel ist „International Sign“ – eine internationale Gebärdensprache, die der Verständigung dient.
Ursprünglich sollten die Premieren bereits im Mai stattgefunden haben. Nun wurden sie aus Rücksicht auf Risikogruppen auf den Oktober verschoben und können zum Teil auch im Internet abgerufen werden. Besucher mit Behinderung oder ohne sind willkommen. Die Vorstellungen sind Rollstuhlgerecht. Daneben gibt es praktische Workshops auf Augenhöhe, inklusiven Tanz und Symposien. Assistenten von Menschen mit Behinderung zahlen keinen Eintritt, Menschen mit Beeinträchtigung erhalten Rabatt.
All In | 20. - 22.10. | Alte Feuerwache | Anm.: ziegert@ibk-kubia.de | un-label.eu
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