Sie sind in Eile? Wollen aber noch mal schnell etwas Kunst genießen? Dann sind sie momentan im Museum Bonn genau richtig. „Echtzeit“ heißt die temporäre Ausstellung, die sich der „Kunst der Langsamkeit“ widmet. Wer das tut, kann in kurzer Zeit viel bewirken. Der Besucher sei überrascht. Tempus fugit. Für manche Künstlerin, für manchen Künstler scheint das nämlich nicht zu gelten. Und wenn, hetzt er wie Horst Müller in seiner Installation „Das Rendezvous“ (1985/2001) gleich zwei Werkstattuhren aufeinander, ganz langsam natürlich und irgendwie auch spiegelverkehrt, aber dann doch präzise in der Zeitangabe und in ihrer Verortung in der Ewigkeit.
Dass Zeit einem Kunstwerk nichts gilt, kann man in dem kleinen Schwarzweiß-Monitor am Eingang bemerken, seit 1968 schreitet US-Amerikaner Bruce Nauman in seinem Video „Slow Angle Walk (Beckett Walk)“ genau eine Stunde lang eine vorgezeichnete Linie in seinem Atelier ab. Der oft kranichartige Gang erinnert mich immer an einen Sketch von Monty Python, ein Bein hält immer die 90 Grad zur Körperachse, der Raum nie die Standard-Ebene.
Ein ähnliches Phänomen der lokalisierten Dehnung von Zeit zeigt der in Krefeld geborene Spanier Ignacio Uriarte in seinen Arbeiten „Zig Zag Transition“ (Bleistift auf Papier, 2014) und „Nine to Five Job“ (Audio, 28.800 Sekunden). Der Künstler zählt, wir lauschen, wenn wir wollen einen ganzen Büroarbeitstag lang. Das ist eben quälend. Das Zählen, das Lauschen, das Arbeiten mit Bleistift auf Papier, ohne Sinn, aber wenigstens mit Struktur.
Monotonie. Nie gehört, nie gesehen. Die Kuratoren Volker Adolphs und Stephan Berg wählten auch zwei von Jens Rischs Knotenkugeln aus. Die waren ursprünglich einmal ein kilometerlanger Seidenfaden, den der in Berlin lebende Künstler über Jahre hinweg immer weiter mit sich selbst verknotet, bis zum Beispiel ein „Seidenstück II“ (Seide weiß, 25 Risse, 2004-09) dabei entsteht, und beileibe nicht wert, dass es wieder zugrunde geht.
Alle Arbeiten der 30 international renommierten Künstler in dieser Sommerausstellung zeigen, wie expressiv man mit einer physikalischen Einheit umgehen kann, ohne ihre Substanz selbst zu zeigen. Die Frage, die man sich, am schnellsten bei Jens Risch stellt, ist die Frage nach der Verschwendung. Kann man Zeit etwa sinnvoll verschwenden? Und ist sie weg oder nur verborgen im Seidenstück? Und hatte sie allen Ernstes einen Anfang?
Mit dieser Frage beschäftigt sich die polnische Künstlerin Alicja Kwade in ihrer Arbeit „Der Tag ohne gestern I“ (Cortenstahl, Wecker, 2014). Da liegt mitten im Museumsraum ein großer rostiger Trichter, der die Ausdehnung von Zeit und Raum nach dem Urknall als aktuelles wissenschaftliches Modell thematisiert. Ein Wecker tickt und tickt. Die Zeit vergeht. Doch seit wann, und auch riesig spannend: Wie lange noch? Für die geheimnisvolle halbierte schwarze Katze in der Vitrine des niederländischen Künstlers Mark Manders ist sie jedenfalls abgelaufen.
„EchtZEIT – Die Kunst der Langsamkeit“ | bis 4.9. | Kunstmuseum Bonn | 0228 77 62 60
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