Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.581 Beiträge zu
3.810 Filmen im Forum

Masar Sohail: „Animals in Iraq“, 2013, Video

Digital, böse, und etwas flüssig

30. August 2018

Der dänische Blick: 18. Dorothea von Stetten Kunstpreis in Bonn – Kunstwandel 09/18

Als die Brücke über den Fluss brannte, hatte ich doch ein Rammstein-Zitat im Kopf: Oh siehst du nicht die Brücke brennt, Hör auf zu schreien und weh dich nicht, weil sie sonst auseinander bricht. Die Szene stammt aus dem Video „The Republic of T. M.“ (2016) von Masar Sohail, mit dem der gebürtige Rumäne den diesjährigen 18. Dorothea von Stetten Kunstpreis 2018 gewann. Für die Jury hatte der technisch perfekte Kurzfilm eben „viel visuelle Opulenz, eine kongruente narrative Struktur und eine humorvolle Sprache“, soll heißen Witz. T.M. im Titel gehört nämlich zu Tony Montana (Scarface/Al Pacino) aus Brian de Palmas gleichnamigen Film von 1983. Gewalttätig geht es auch in Sohails Streifen zu. Hier will ein junger Mann die bestehende Ordnung zerstören, um sich eine eigene Welt zu erschaffen. Tahas Gewaltorgie durch moderne Vegetation (plus „kill them all“) dauert nur eine Viertelstunde, aber sie reflektiert ziemlich treffsicher die Aussichtlosigkeit, mit der sich junge Männer heute in derartige Alternativgesellschaften träumen. Soziale Ausgrenzungen lassen sich eben mit Waffengewalt sehr gut durchbrechen, ein fatales wie wohl untaugliches Gedankenmodel, auch Scarface ist bei De Palma schließlich gescheitert. Masar Sohail konnte immerhin die 10.000 Euro Preisgeld einsacken, zu Recht wie ich finde. An dem Streifen ist nichts auszusetzen, schnitttechnisch geschickt, schöne lange Portraiteinstellungen und ein grandioses Szenario machen beim Betrachten nicht nur nachdenklich. Der Filmemacher studierte Bildende Kunst an der Royal Danish Art Academy und kam so als Vertreter der jungen dänischen Kunstszene in die Auswahl, denn der Kunstpreis hat sich seit Jahren dem europäischen Umland (von Deutschland aus) verschrieben.

Zusammen mit Amalie Smith und Amitai Romm präsentiert sich der Preisträger in der Bonner Kunsthalle. Smith lässt digitale Bilder auf zwei Wellblechplatten projizieren, die den gesamten Raum teilen. Ziemlich abstrakt anhand von Webstuhlsystemen soll die fortschreitende Digitalisierung der Welt visuell sichtbar werden. Hans Arps „Sailboat in the Forest“ (1969) spiegelt diese Entwicklung der tanzenden Kettfäden. Im Raum des Israeli Amitai Romm geht es großformatig und flüssig weiter. Pinkelnde Torsi ist mein erster Gedanke anhand einer ziemlich kompliziert aufgebauten Installation über die Funktion von Stoffwechseln, und eigentlich riecht es auch etwas. Zwei Tanks mit klarer Flüssigkeit stehen da, zwei Schläuche verbinden sie mit Technik und den Stoffkörpern, die wohl alles kontrolliert „ausschwitzen“; der Vorgang als solcher bleibt verborgen. Das Sekret als eines der ursächlichen Teile des Organismus ist hier zu einem Gedankenmodel verarbeitet worden, das auch eine Auseinandersetzung mit einem eigenen Körper einfordert. Auf der gegenüberliegenden Wand eine monströse Raupe aus stählernen „Satellitenschüsseln“ (Parable, 2016, Detail, Stahl, Neodymium Magnet, Fossilien) und versteinerten Urtierchen. Ein schöner Kontrast ohne Flüssigkeiten.

Dorothea von Stetten Kunstpreis 2018 | bis 30.9. | Kunstmuseum Bonn | 0228 77 62 60 

PETER ORTMANN

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Farbe als Ereignis
Katharina Grosse im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 07/24

Glaube und Wissenschaft
Louisa Clement im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 04/24

Die Farbe der Ironie
Bonn zeigt Werkschau zu Wiebke Siem – Kunst 07/23

Aus dem Nachbarland
Dorothea von Stetten-Kunstpreis im Kunstmuseum Bonn – Kunstwandel 08/22

Reise ins Körpergehäuse
Maria Lassnig im Kunstmuseum Bonn – Kunstwandel 03/22

Ursachen der kunstvollen Wirkung
„Passierschein in die Zukunft“ im Kunstmuseum Bonn – Kunstwandel 12/21

Betörende Melancholie garantiert
Norbert Schwontkowski im Bonner Kunstmuseum – Kunstwandel 01/20

Maler unterwegs
„Jetzt!“ im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 12/19

Früher adelten die Museen Qualität
Mehr als 500 Bilder: „Jetzt! Junge Malerei in Deutschland“ – Kunstwandel 11/19

Die Vorstellungen weigern sich
Thomas Scheibitz im Bonner Kunstmuseum – Kunstwandel 03/18

Dachlatten und Kaviar
Georg Herold im Kunstmuseum Bonn – Kunst in NRW 12/17

Jeder Zyklus hat einen Anfang
Der frühe Gerhard Richter im Kunstmuseum Bonn – Kunstwandel 08/17

Kunst.

Hier erscheint die Aufforderung!