choices: Christina, du inszenierst ein Doppelstück unter dem Sammeltitel „Fremde Helden“. Was interessiert dich an Heldenfiguren?
Christina Vayhinger: Das Projekt „Fremde Helden“ besteht aus zwei Teilen, dem Monolog „Kong“ und einem Stück über Robinson Crusoe, das im Herbst Premiere haben wird. Mich interessieren natürlich vor allem die gescheiterten Helden. Helden opfern sich ja normalerweise für eine Sache oder eine Person und enden meist tragisch durch den eigenen Tod. Die Idee ist entstanden, als ich vergangenes Jahr an Ostern das King Kong-Remake von Peter Jackson im Fernsehen sah. Ich war völlig fasziniert von der Figur, in die man so viel hineininterpretieren kann. Als ich dem Autor Klaus Fehling bei der Zusammenarbeit an unserem Stück „Maulwürfe“ davon erzählt habe, war er sofort begeistert. Und Robinson Crusoe habe ich schon länger in der Schublade.
Was verbindet King Kong und Robinson Crusoe miteinander?
King Kong wird als wildes Tier in die Zivilisation transportiert, und Crusoe gerät als vermeintlich Zivilisierter in die Wildnis. Diesen Gegensatz wollte ich gerne zeigen und zwar in beiden Stücken mit Sunga Weineck als Hauptdarsteller. Kong ist schon fremd in seiner eigenen Welt, er wird zwar als Gott verehrt, aber die ‚Eingeborenen’ auf der Insel fürchten ihn genauso wie später die Bewohner der Insel Manhattan.
„Kong“ ist ein Monolog, wie ist das mit „Robinson“?
In „Robinson“ soll Sunga Weineck mit 35 Jugendlichen auf der Bühne stehen. Es wird keinen geschriebenen Text geben. Da Robinson sich ja erst einmal nicht verständigen kann, soll die Kommunikation nicht über die verbale Sprache, sondern über Klänge und Rhythmen erfolgen.
Welche Rolle spielt der Film-Plot für eure Version von King Kong?
Anders als im Film, bei dem King Kong am Ende vom Empire State Building stürzt, reißt er sich bei uns nicht los, sondern lässt sich durch den Geruch der fremden Welt, das Glamouröse, korrumpieren. Ich hatte von Beginn an dieses Bild von dem Riesenaffen im Theater im Kopf. Die Kreatur, festgebunden und angeglotzt auf einer Bühne – im Grunde ist das die Situation von uns Schauspielern, wenn wir uns vor dem Publikum zum Affen macht. „Kong“ erzählt also die Geschichte eines gealterten Showstars. Er lebt nur noch durch seine Show, es gibt nichts anderes mehr für ihn. Die Bühne ist Kongs Insel, auf der er bereits die 933. Vorstellung absolviert. Der Typ ist eigentlich manisch depressiv und säuft und ist zugleich damit beschäftigt, dies zu verbergen. In seiner Show erzählt Kong in Rückblicken zugleich seine eigene (Film-)Geschichte mit allen Klischees. Und damit spielen wir: Der Hauptdarsteller Sunga Weineck ist ja dunkelhäutig und spielt dann den Affen nach, macht die Grinsekatze und dann im Bruch dazu den degenerierten Showmaster, der vollkommen runter ist.
Ist „Kong“ also auch eine Art Reflektion über den Beruf des Schauspielers?
Am Anfang stellt Kong ans Publikum die Frage „Können Sie sich eigentlich vorstellen, wie das ist, wenn man hier so sitzt, die leeren Sitzreihen, das Popcorngeraschel. Wissen Sie, wie das ist? Lassen Sie’s bleiben. Folgen Sie ihrer Phantasie, das ist unterhaltsamer.“ Das Stück erzählt sehr viel über den Schauspielerberuf. So wie man als Darsteller, wenn der Freund sich von einem getrennt hat oder die Mutter gestorben ist, am Abend die Komödie von Alan Ayckbourn spielen muss, so ist auch Kong die ganze Zeit damit beschäftigt, sein Selbstmitleid zu überspielen. Einerseits hat er sich für die Bühne entschieden, weil sie eben auch Glanz und Glamour bedeutet; andererseits sitzt er nach der Vorstellung da und trinkt seinen Whiskey. Kong begreift, dass er sich letztlich selbst dafür entschieden hat, sich fangen zu lassen und damit auch sein eigener Regisseur ist.
Welche Rolle spielt denn dann noch das Verhältnis von Wildheit und Zivilisation?
Nicht so eine große Rolle, das wird eher visualisiert, wenn wir mit der Erwartungshaltung der Zuschauer spielen. Wenn es „King Kong“ hört, erwartet das Publikum ja etwas ganz Besonderes. Und die Figur des Kong führt dir dann den Affen und den ‚Eingeborenen’ vor, die dich mit den Klischees in deinem Kopf konfrontieren. Was wissen wir darüber, was ein Tier fühlt, denkt, handelt?
Und die blonde Frau?
Ann Darrow, die blonde Frau, wird als Barbiepuppe präsent sein. In Klaus Fehlings Stück entscheidet sie sich bereits nach der dritten Vorstellung, nicht mehr mitzuspielen. Sie hat einfach keine Lust mehr, ständig rumzuschreien, und verlässt Kong. Auch in den Filmen spielt sie ja nicht in der Show mit, wenn auch aus anderen Gründen. Am Schluss sagt Kong, dass er gut verstehen kann, dass sie ihr eigenes Leben will.
Was hält ihn denn dann noch auf der Bühne?
Es waren der Geruch der Frau und die Verlockungen der Fremde, die Kong verleitet haben. Dieser Spur ist er gefolgt. Aber letztendlich erweist er sich als feige. Genau das, was ihn zum Held gemacht hätte, tut er nicht. Im Stück sagt er mehrmals „Ich hätte fallen sollen“. Es ist also weniger ein Verleiten, als ein Kapitulieren vor dem Ende, weil das den Tod bedeutet. Wir lassen das offen und behaupten auch nicht, dass hier ein Schauspieler King Kong spielt. Ich finde es besser, wenn diese Frage in den Köpfen der Zuschauer gelöst wird: Wie ist es, wenn ich nirgendwo einen Platz habe?
In Robert Altmans Film über Buffalo Bill wird der Westernheld schließlich zum Star seiner eigenen Show.
Dieses Streben nach Ruhm verschleißt sich natürlich relativ schnell. Alles was Kong zu bieten hat, ist seine monströse Größe und das sich ‚zum Affen machen’. Und irgendwann interessiert das eben keinen mehr, aber er kann nichts anderes. Ich muss dabei immer an „Elephant Man“ von David Lynch denken, der in der Gesellschaft herumgereicht wird und am Ende in der Oper sitzt. Auch da stellt sich immer wieder Frage, ob das ein Akt der Humanität ist oder ob dieses Wesen nur benutzt wird, um die eigene Großmut zu demonstrieren.
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