Berlin, 28. September 2017: Nach 7 Tagen endet eine der bemerkenswertesten Aktionen der jüngeren Theatergeschichte. Begleitet von zwei Hundertschaften der Polizei fordert der neue Intendant der Berliner Volksbühne Chris Dercon die Hausbesetzer des Kollektivs „Staub zu Glitzer“ ultimativ auf, „sein“ Haus zu räumen. „Die Besetzung der Volksbühne war die richtige Aktion am richtigen Ort zum richtigen Zeitpunkt“, resümierte daraufhin die Süddeutsche Zeitung. „Die Linie zwischen einer internationalen Gastspielkultur und Wohnraumnot ist sehr viel direkter, als man glauben möchte.“ Es sind zunächst die lokalen Künstler – als den man auch Frank Castorf noch sehen kann – die als unfreiwillige Pioniere Neuland für die Immobilienindustrie erschließen. Jeder Club, jede Galerie, jedes (freie) Theaterwertet ein strukturschwaches Viertel auf. Wenn die Entwicklung dann ihren Lauf genommen hat, müssen sie weiterziehen. Was bleibt, sind oft leere Hüllen – sei es in Manhattan, München oder Köln. Künstlerische Produktion und echtes Stadtleben sind passé.
Zur Vorgeschichte: Nach 25 herausragenden Theaterjahren musste der bisherige Intendant Frank Castorf – nachdem er seinem Haus über Jahrzehnte einen legendären Ruf verschafft hatte – seinen Stuhl räumen. Nach so langer Zeit einen Wechsel an der Spitze eines Theaters herbeizuführen, ist erst einmal nichts Verwerfliches. Verwerflich ist, das vielleicht spannendste, visionärste und beste Theater Deutschlands, samt herausragendem Schauspielerensemble, zu entkernen, Bühnen- und Kostümabteilungen aufzulösen und damit unwiederbringlich Know-How zu vernichten.
Was kommt, ist ein hochgezüchteter, international vernetzter Gastspielbetrieb. Zu „Gast“ sein wird ein sehr begrenzter Protagonistenkreis, dem man hohe künstlerische Qualität nicht absprechen, dem man aber überall auf der Welt begegnen kann.
Gleich nach Bekanntgabe der neuen Intendanz fragte man sich: Was soll dieses Haus zum Beispiel vom Theater Hebbel am Ufer in Berlin unterscheiden? Chris Dercon (Jahrgang 1958) ist ein belgischer Kurator und Theaterwissenschaftler – und eben kein Theatermacher – der zuletzt Direktor der Tate Gallery of Modern Art in London war. Ein Vertreter der internationalen Kunstszene. Im oben beschriebenen Prozess der Gentrifizierung ist die „internationale Gastspielkultur“ nach dem Einzug der „kreativen Klasse“ bereits der übernächste Schritt. Ihre Zielgruppe ist nun nicht mehr die lokale Bevölkerung, sondern es sind Touristen und internationale Talente. Der lokale Bezug geht dabei oft vollständig verloren und der „normale“, oft sehr „theatergebildete“ Berliner Zuschauer entfremdet sich von „seinem“ Theater. Hier vollendet die Globalisierung, was sie durch Internet und die weltweite ökonomische Verflechtung zu Beginn des Jahrtausends begonnen hat.
Es ist eindeutig der falsche Weg! Schaut man sich aktuelle gesellschaftspolitische Diskussionen an, so ist festzustellen, dass es einer Stärkung der lokalen Bezüge bedarf: Kunst, Politik und Wissenschaft müssen sich an der Neudefinition dessen, was wir unter „Heimat“ verstehen, beteiligen und dürfen dieses Terrain nicht internationalen Geschäftemachern und rechten Populisten überlassen. Das ist hirnrissig – wie die Neubesetzung der Intendanz der ehrwürdigen Volksbühne in Berlin.
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