Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
23 24 25 26 27 28 29
30 31 1 2 3 4 5

12.582 Beiträge zu
3.812 Filmen im Forum

Foto: Oliver Strömer

Bis der Himmel fällt

29. August 2024

Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24

Woher nur dieses Zischen in den labyrinthartigen Gängen des unterirdischen Heims? Dieses mitunter kaum hörbare, aber körperausfüllende Geräusch. Ein Störenfried der Ruhe, ja, ein Feind des Friedens, der gnadenlos bis zum Tod aller Beteiligten bekämpft werden muss. In seiner 105-minütigen Inszenierung hetzt Regisseur Zafer Tursun das Wesen aus Franz Kafkas Parabel „Der Bau“ durch ebendiesen. Getrieben vom Willen zur optimalen Absicherung seines Domizils und der Autonomie als einzig wahre Lebensform verfängt sich der Bewohner, die Bewohnerin (Mehrfachbesetzung mit Chaymae M’Stfa, Thomas Brandt, Lamyae M’Stfa) in den Ausläufern seiner Paranoia.

Obgleich der Stille als ultimativem Klang zugewandt, stürzt Tursun sein Ensemble sowie das Publikum stets ohne Vorwarnung in die Erdkammern und -hallen eines psychotischen Gemetzels gegen die eigenen Geister. Hier umarmt sich eine unfassbare Panik mit strengem chirurgisch-architektonischem Kalkül zu Konfliktlösungen, die ebenso eine Auslöschung des Ichs wie die des imaginären Gegners zelebrieren. Einem Gebet gleich beschwört das nervöse Geschöpf den Sinn aller Geschehnisse als vorherbestimmte Schicksalsfügung, ohne jedoch daran zu glauben. Die fragmentarische Erzählung aus den Jahren 1923/24 wird in der ersten Aufführung am Theater der Keller der neuen Spielzeit auf spartanischer Bühne dargeboten, mit einem regelmäßig in sich zusammenfallenden Schutzwall, kleinen Spiegeln, melancholischen Melodieschleifen am Piano und dezenter Beleuchtung.

Den Sprung aus der Lektüre wagt die zu gelegentlicher Romantik neigende Figur als Tänzer:in und Sänger:in im Reigen der Töne von „Army Dreamers“ – einem Antikriegslied von Kate Bush – sowie weiterer Songs. Ausdrucksstark in den Windungen eines vor Glückseligkeit über sein Schaffen und seine Existenz verzweifelten Individuums ergibt sich das Kollektiv einem strapaziösen Langstreckenlauf ohne Zielgerade. Erholungsphasen im Schlaf sind passé. Das Zischen im Dunkeln zerfurcht beständig den Verstand und vor allem die Lunge, um sich einem schweigenden Firmament zu öffnen. Der Eingang zum Bau will gefunden, will durchschritten werden. Dahinter wachen Untergang und Verherrlichung als Akt der Unbarmherzigkeit. 

Der Bau | 29.8., 12., 13.9., 4., 5., 12.10. je 20 Uhr | Theater der Keller, Köln | 0221 31 80 59

Thomas Dahl

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Mufasa: Der König der Löwen

Lesen Sie dazu auch:

Die Existenzkrise der Kunst
„Do not touch“ am TdK

Schussbereite Romantik
„Der Reichsbürger“ in der Kölner Innenstadt – Auftritt 01/25

Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24

Biografie eines Geistes
„Angriffe auf Anne“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 11/24

Der Witz und das Unheimliche
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Prolog 08/24

Schöpfung ohne Schöpfer
Max Fischs Erzählung „Der Mensch erscheint im Holozän“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 05/24

„Wir wissen nicht viel über das Universum“
Ronny Miersch inszeniert „Der Mensch erscheint im Holozän“ am TdK – Premiere 04/24

Einstürzende Bergwelten
„Monte Rosa“ am Theater der Keller – Prolog 02/24

Schleudergang der Pubertät
„Frühlings Erwachen: Baby, I‘m burning“ am Theater der Keller – Auftritt 11/23

Komik der Apokalypse
„Die Matrix“ im Theater der Keller – Theater am Rhein 10/23

Sonnenstürme der Kellerkinder
1. Ausbildungsjahr der Rheinkompanie – Theater am Rhein 08/23

„Die starke Kraft der Träume anzapfen“
Intendant Heinz Simon Keller über „Die Matrix“ am Theater der Keller – Premiere 08/23

Theater am Rhein.

HINWEIS