Gehen und Sehen. Es ist finster, kalt und riecht nach Keller. Gänsehaut legt sich in schauriger Erwartung auf die Oberarme. Durch die verwinkelten Kammern und Korridore dringen Ambient-Töne. Mal blubbernd, dann dröhnend, dann wabernd. Gut, dass es ein Corona-konformes Einbahnstraßensystem gibt, das den Orientierungssinn entlastet. Die Route wird durch fluoreszierendes Kreppband markiert. Es lädt die Besucher ein, mit den vor Ort ausgeliehenen Taschenlampen eigene leuchtende Botschaften zu hinterlassen. Die auch sofort auch wieder verblassen – im stetigen Kreislauf von Entstehen und Vergehen.
Bei der E-Waste-Installation im Bunker ginge es auch darum, so der Kölner Sound and Media-Artist Roman Jungblut, auf das Thema der Nachhaltigkeit aufmerksam zu machen. Grundelement der Gestaltung sind Animationen, die auf alten Laptops, Tablets und Smartphones abgespielt werden. Geräte, die in ihrer ursprünglichen Verwendungsabsicht nicht mehr genutzt werden (können), bekommen so einen neuen Sinn. Die Videos erinnern an Zellteilung, an Informationsübertragung zwischen Computerchips, der Gesamteindruck an ein vergessenes Großraumbüro im Weltall. Schon bei der Konzeption war den beiden Künstlern Roman Jungblut und Claus Daniel Hermann klar, dass die Installation nur in einem Bunker stattfinden könne. Das seien schließlich ebenfalls Orte, die in ihrer ursprünglichen Absicht nicht mehr genutzt werden. Und die nun entweder zerfallen, abgerissen oder mit neuen Ideen gefüllt werden.
Tatsächlich darf die Öffentlichkeit die Off-Location des Hochbunkers in der Riphahn-Siedlung erst zum zweiten Mal erkunden. Und zum ersten Mal wird das Innere des Klotzes mit Kunst gefüllt. Unter dem Architekten Ernst Nolte wurde der Bunker 1943 gebaut, um 1665 Schutzbedürftige im Falle eines Ernstfalls aufzunehmen. Nachdem er im Kalten Krieg zum öffentlichen Schutzraum erklärt und anschließend als Notunterkunft genutzt wurde, findet nun auf den 1000 Quadratmetern die Ausstellung „The Circle of Life-Cycles“ statt.
Neben der gemeinsamen Installation aus sogenanntem Elektronikschrott stellen die Künstler auch noch individuelle Positionen vor. Der Grafik-Designer Claus Daniel Hermann zeigt die auf rissige Wand projizierte Animation „Safe Space“. Jungblut füllt den weitläufigen ersten Stock mit der Licht- und Sound-Installation „Art So White.“ Er verrät, dass die Geräusche, wenn auch stark verfremdet, zu einem großen Teil von den Black Lives Matter-Demonstrationen aus dem Jahr 2020 stammen. Plötzlich zerschlägt ein Bass die Geräuschkulisse. In dem Bunker lässt die laut wummernde Störung sofort an einen Bombeneinschlag denken. Oder einstürzende Bauten. Die Schritte beschleunigen sich. Anschließend folgt das Aufatmen im hellen Nachmittagslicht – der gigantische Körper speit einen aus, gebärt einen wieder.
Um die Lebenszyklen von Maschinen zu verlängern, verlangen die Künstler keinen Eintritt und bitten stattdessen um eine Spende für den Computerclub2000. Eine Initiative für digitale Teilhabe, die ausgemusterte Laptops und Co einsammelt, auffrischt und an bedürftige Schüler ausgibt. Auch die in der Ausstellung verwendeten Laptops sollen anschließend bei einer Auktion versteigert werden. Der Erlös geht ebenfalls an den Computerclub. Für mehr Chancengleichheit. Und zweite Chancen. Chapeau!
The Circle of Life-Cycles | 18., 25.9. 16 Uhr, 26.9. 15 Uhr | Hochbunker Grüner Hof
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