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Unterwegs zu mehr Verantwortung?
Foto: Yellow Boat / Adobe Stock

Paradigmenwechsel oder Papiertiger?

26. September 2024

Teil 3: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.

Ein Grund zur Freude?

Die Entscheidungen der Europäischen Union wirken oft fern vom Alltag. Dabei haben sie direkten Einfluss auf unser Leben und unsere Arbeitsbedingungen. Das gilt in noch höherem Maße für die Menschen im sogenannten globalen Süden, denn dort wird ein großer Teil der Waren produziert, die wir zum täglichen Leben brauchen oder zu brauchen glauben. Zu Recht wird seit Jahrzehnten von Nichtregierungsorganisationen (NGO) gefordert, genauer hinzuschauen, wie zum Beispiel unsere Kleidung produziert oder Rohstoffe abgebaut werden. Denn dies ist oft verbunden mit Ausbeutung, fehlendem Arbeitsschutz, Kinderarbeit und Umweltzerstörung.

Schlupflöcher für Konzerne

In Deutschland verabschiedete der Bundestag daher am 11. Juni 2021 das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), kurz Lieferkettengesetz. Es trat in Kraft am 1. Januar 2023 als Artikel 1 des Gesetzes über unternehmerische Sorgfaltspflichten in Lieferketten. Kritikerinnen und Kritikern geht dieses Gesetz auch nach Überarbeitungen nicht weit genug. Zu groß seien die Schlupflöcher für Großunternehmen, um diese Regeln zu umgehen. 

Auf EU-Ebene trat in diesem Sommer ein Gesetz in Kraft, das den Anspruch hat, in der Frage der Menschenrechte und des Klimaschutzes über das LkSG hinauszugehen. Kann es diesen Anspruch einlösen? Am 24. Mai dieses Jahres hat der Rat der Europäischen Union die EU-Lieferkettenrichtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive – CSDDD) verabschiedet, kurz EU-Lieferkettengesetz. Mit dem Gesetz soll ein Wandel vollzogen werden, weg von freiwilliger Unternehmensverantwortung hin zu gesetzlichen Regeln. 

Die gesamte Lieferkette

Die Initiative Lieferkettengesetz, ein zivilgesellschaftliches Bündnis von mehr als 130 Organisationen, bezeichnet das CSDDD trotz starker Kritik als großen Fortschritt. Gemäß des neuen Gesetzes sind Unternehmen nun EU-weit unter anderem dazu verpflichtet, ihre negativen Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt zu untersuchen, zu vermeiden, zu beenden und gegebenenfalls wiedergutzumachen. Sie haften auch für Schäden, die sie durch Verstöße gegen ihre Sorgfaltspflichten mit verursacht haben. Die Unternehmen sind außerdem verpflichtet, einen Klimaplan aufzustellen und umzusetzen. Die Richtlinie gilt entlang der gesamten vorgelagerten Lieferkette und bezieht die Rohstoffgewinnung unmittelbar mit ein. Auch das ist ein Fortschritt, denn die meisten Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden finden am Beginn der Lieferkette statt, zum Beispiel in Bergwerken oder auf Plantagen. Soweit zu den positiven Aspekten des neuen Gesetzes. 

Aus der Pflicht entlassen

Als unzureichend wird kritisiert, dass es nur Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von mehr als 1,5 Mrd. Euro erfasst. Selbst nach einer stufenweisen Herabsetzung dieser Schwellen entspricht das laut Schätzung der European Coalition for Corporate Justice weniger als 5.500 Unternehmen und damit nicht einmal 0,05% aller Unternehmen in der EU. 

Im LkSG sind bereits jetzt Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten erfasst – ohne Mindestumsatz. Nach ersten Schätzungen wären etwa zwei Drittel der Unternehmen, die derzeit noch unter das LkSG fallen, vom CSDDD nicht erfasst. Auch die Schonfrist von fünf Jahren für diese Unternehmen wird vom Bündnis als zu lang betrachtet. Zudem sieht die Richtlinie keine ausdrücklichen Sanktionen bei Nichtumsetzung der Klimapläne vor. 

Handelt es sich beim CSDDD also um einen Paradigmenwechsel oder einen Papiertiger? Das muss die Zukunft zeigen. Fest steht, es bleibt noch viel zu tun, um sich dem Anspruch globaler Gerechtigkeit anzunähern.

Henning von Stoltzenberg

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