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Zum Dämmen und Düngen: Seebälle
Foto: Francesco Scatena/Adobe Stock

Nach dem Beton

26. Juni 2025

Teil 3: Leitartikel – Warum wir bald in Seegräsern und Pilzen wohnen könnten

Sie ziehen Ihren Strohhut tiefer ins Gesicht, um es vor der mallorquinischen Sonne zu schützen. Der Strand ist übersät mit diesen merkwürdigen filzigen Bällen, die Sie von diversen Badeurlauben kennen. Auf einmal kommt ein Trupp Männer und Frauen in Warnwesten an. Die summen vor sich hin, sammeln dabei diese Filzbälle auf und werfen sie in einen riesigen Bollerwagen. Wofür diese bizarren Fusselkugeln denn gesammelt würden, noch dazu in großem Stil, fragen Sie neugierig. Die Sammler antworten mit einer katalanischen Version von „Schaffe, schaffe, Häusle baue“. Diese Verwirrung kann sich ähnlich wirklich am Mittelmeer zutragen – vielleicht immer öfter.

Rohstoffe, am Strand, am Baum

Diese marinen Filzbommel heißen Seebälle, Meerbälle oder Posidonia, weil es sich bei ihnen um verwelkte Teile des Neptungrases (Posidonia oceanica) handelt, einer Meerespflanze. Ihre Fasern sind schimmelresistent, schwer entflammbar und dämmen Temperatur und Schall. Nicht bloß bringe Neptungras also all das mit, was man von einem modernen Dämmmaterial erwartet, auch brauche man es vor dem Verbauen kaum zu behandeln und nach dem Entfernen könne auf dem Seegrassubstrat Gemüse wachsen, so Richard Meier, Architekt und ehemaliger Professor für Architektur und Denkmalpflege an der SRH Hochschule Heidelberg. Er hat das Seegras unter dem Namen Neptutherm als Dämmstoff patentieren lassen. Aus der Natur und zurück in die Natur, oder „cradle to cradle“, wie es in Moderndeutsch heißt.

Aus dem Urlaub zurückgekehrt machen Sie einen Spaziergang durch den Wald. Da kommt Ihnen ein Trupp von Männern und Frauen in Warnwesten entgegen. Die hacken diese dicken, harten Pilze von den Bäumen. Als Leser dieses Artikels ahnen Sie sicher schon, wofür: Vera Meyer ist Mikrobiologin an der TU Berlin, Künstlerin und eine der prominentesten Stimmen in der Erforschung von Pilzen wie dem Zunderschwamm als Rohstoff – auch zum Hausbau. Dazu arbeitet sie mit Menschen aus unterschiedlichsten Disziplinen zusammen, darunter Architekten, Ingenieure und Akzeptanzforscher. 

Sackgasse aus Sand

Werden wir bald in Pilzen und Seegräsern wohnen? Kein so abwegiger Gedanke. Wir haben uns schließlich auch daran gewöhnt, in hermetischen Klötzen zu wohnen, dabei ist der heutige Beton auch erst 200 Jahre alt. 200 Jahre und bewährt, oder nicht? Warum diese teils abstrus anmutenden Alternativen?

Die Baubranche boomt weltweit und die Preise für Rohstoffe steigen in die Höhe, denn sie sind nur scheinbar unendlich. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen werden jährlich rund 50 Milliarden Tonnen Sand für die Betonherstellung benötigt. In der weitgehend unregulierten Branche führt das zu Raubbau und teils mafiösen Strukturen. Gleichzeitig ist die Baubranche eine der energieintensivsten. Bau und Betrieb von Gebäuden sind weltweit für 35 bis 40 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Zudem machen Bauabfälle mit mehr als 200 Millionen Tonnen mehr als die Hälfte des Müllaufkommens in Deutschland aus.

Es gibt Alternativen zu Beton und Stahl und erdölbasierten Polymeren. Der Zunderschwamm ist leicht, robust und biologisch abbaubar. Leider sind diese Alternativen oft (noch) teurer und werden argwöhnisch betrachtet, obwohl in vielerlei Hinsicht sinnvoller. Nachhaltigkeit heißt nicht „zurück in die Steinzeit“, wie es von Rechtsschwarzverkommenen oft kritisiert wird. Menschen wie Richard Meier und Vera Meyer zeigen, dass Fortschritt bedeutet, den vorgegebenen Weg mit Neugier und offenen Augen zu verlassen, wenn dieser sichtlich auf einen Abgrund zusteuert.

Marek Firlej

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