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Patrick Velte
Foto: Brinkhoff-Moegenburg/Leuphana

„Klimakrisen sind nicht wegzureden“

26. Juni 2025

Teil 1: Interview – Der Ökonom Patrick Velte über die Rückabwicklung von Nachhaltigkeitsregulierungen

In den Wahlkämpfen wurde kräftig Stimmung gemacht gegen grüne Gesetzgebung, nach dem Regierungswechsel in Berlin und dem Rechtsruck im EU-Parlament wird es nun konkret: Regelwerke, die die Wirtschaft nachhaltiger machen sollten, werden abgeschwächt. Wie und welche Auswirkungen dies zur Folge haben wird, legt der Ökonom Patrick Velte im Interview dar.

choices: Herr Velte, zurzeit gibt es Bemühungen, den Green Deal der EU abzuschwächen, die sich vor allem gegen Nachhaltigkeitsregulierungen wie die CSRD-Berichtspflicht oder die Taxonomie-Verordnung richten. Das klingt für Außenstehende sehr abstrakt, welche Bedeutung haben diese Regelwerke für den Green Deal?
Patrick Velte:
Das Green Deal-Projekt der EU-Kommission beinhaltet die zentrale Zielsetzung einer klimaneutralen Wirtschaft bis 2050 und das bedingt auch, dass sich die Unternehmen an dieser überragenden Zielsetzung ausrichten und selbstständig beurteilen müssen, wie sie diesen Pfad erreichen. Ein zentraler Mechanismus, den die EU-Kommission im Auge hatte, war, die Unternehmen nicht nur zu einer ausführlichen Nachhaltigkeitsberichterstattung zu verpflichten – das ist die angesprochene Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)  sondern diese auch mit der sogenannten Taxonomie-Verordnung zu verknüpfen, die ein Klassifizierungssystem für umweltrelevante Geschäftsaktivitäten beinhaltet. Innerhalb dieser Verordnung gibt es den sehr zentralen Artikel acht, der eine Berichtspflicht von drei grünen Leistungsindikatoren umfasst: dengrünen Anteil der Umsatzerlöse, der Kapitalaufwendungen und Betriebsaufwendungen. Diese drei Kennzahlen haben einen wichtigen Informationswert im Nachhaltigkeitsbericht, damit z.B. Investoren analysieren können, wie grün diese Unternehmen im Rahmen ihrer Investitions- und Finanzierungspolitik sind. Deswegen sind CSRD-Berichtspflicht und Berichtspflicht nach der Taxonomie-Verordnung unmittelbar miteinander verknüpft. Als dritte zentrale Regulierung gibt es die sogenannte Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), das ist die europäische Lieferkettenregulierung. Der Nachhaltigkeitsbericht muss auch die Wertschöpfungskette des Unternehmens adressieren, z.B. Kunden und Lieferanten, sodass nachhaltigkeitsbezogene Sorgfaltspflichten des Managements hiervon berührt werden. Diese Regulierungen sind seit Beginn des EU Green Deals 2019 schrittweise von der Kommission implementiert worden, zuletzt die CSDDD im vergangenen Jahr. Dieser Dreiklang aus CSRD, Taxonomie-Verordnung und CSDDD ist meiner Meinung nach ein zentrales Instrument für Unternehmen und ihre Stakeholder, um eine erfolgreiche Nachhaltigkeitstransformation anzuschieben.

„Die EU ist mit diesem Omnibus-Paket erstmal zurückgerudert“

Nun sollen diese drei Regelwerke in einer Omnibus-Gesetzgebung" zusammengefasst werden. Welche Folgen für den Green Deal ergeben sich daraus?
Auch vor dem Hintergrund der geopolitischen Lage, mit Blick auf Trump und seine Anti-ESG-Aktivitäten, ist zu erklären, dass die EU-Kommission das Ziel eines massiven Bürokratieabbaus von mindestens 25 Prozent für die Unternehmen erklärt hatte, im Mittelstand sogar von 35 Prozent. Zweierlei: Einmal möchte man den Anwenderkreis von CSRD und Taxonomie-Verordnung verkleinern, also weniger Unternehmen in diese Berichtspflichten einbeziehen. Schätzungen zufolge sollen 80 Prozent der Unternehmen entlastet werden, im Vergleich zum verabschiedeten Stand. Man möchte auch die Sorgfaltspflichten nach der CSDDD verkleinern, das soll ebenfalls zu wesentlichen Kostenersparnissen für die Unternehmen führen. Entsprechend werden diese wohl auch nicht so aktiv in ihren Nachhaltigkeitsbestrebungen künftig werden, das ist das, was ich am Omnibus kritisiere. Ich verfolge das sehr genau bei meinem Kooperationspartnern aus dem Mittelstand, die sagen mir, dass bereits der Entwurf des Omnibus-Pakets dazu geführt hatte, dass viele mittelständische Mandanten Nachhaltigkeitsprojekte erstmal auf Eis gelegt haben und die Geschäftsführung zeitnah die Stopp-Taste gedrückt hat. Deswegen hemmt das EU-Omnibus-Paket das Gelingen des Green Deals. Ich habe etwas die Sorge, dass wir das Ziel,klimaneutral zu werden, in der EU bis 2050 nicht schaffen und viele Unternehmen in den kommenden Jahren ihre Geschäftsmodelle und -prozesse nicht schnell genug nachhaltig transformieren. Viele Unternehmen scheuen die hohen Implementierungskosten, zudem können Nachhaltigkeitsaktivitäten auch scheitern. Es gibt natürlich auch viele Unternehmen, die schon sehr lange freiwillig aktiv im Nachhaltigkeitsbereich sind und auch freiwillige Nachhaltigkeitsberichte schreiben. Der Mittelstand jedoch hatte jedoch bislang keinerlei Berichtspflichten. Vielen mittelständischen Unternehmen fehlen die finanziellen Ressourcen, und Nachhaltigkeitsexpertise muss auch erstmal aufgebaut werden im Unternehmen, in der Geschäftsführung, in Aufsicht- und Beiräten, in der internen Revision etc. Das ist eine ganz große Herausforderung, auch vor dem Hintergrund der finanziellen Engpässe, die viele Unternehmen in der EU momentan haben. So lässt sich erklären, dass die EU mit diesem Omnibus-Paket erstmal zurückgerudert ist mit den EU-Green-Deal-Zielen und den Mittelstand von den Berichtspflichten verschonen möchte.

„Der Kapitalmarkt hat längst erkannt, dass aus einem Klimarisiko schnell ein betriebliches Finanzrisiko werden kann“

Was natürlich heißt, dass man später umso schneller rudern muss …
Das Problem ist aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Klimarisiken sind nicht wegzureden, nur weil jetzt die Bürokratieabbau-Regulierung kommt. Das können Sie auch sehr gut an den Kapitalmarkt -Teilnehmenden erkennen, die diese Umweltrisiken häufig schon sehr genau berücksichtigen im Rahmen von Kreditvergabeentscheidungen oder bei Vertragskonsultationen im Versicherungsbereich. Der Kapitalmarkt hat z.B. längst erkannt, dass aus einem Klimarisiko schnell auch ein betriebliches Finanzrisiko werden kann. Wenn es nach einem Dauerregen etwa schwere Überflutungen gibt, die eben auch die industrielle oder geschäftliche Infrastruktur betreffen, erwächst daraus ein sehr elementares Geschäfts- und Finanzierungsrisiko. Vor diesem Hintergrund erwarten die Banken im Rahmen ihrer Kreditvergabe bestimmte ESG-Informationen, ebenso die Versicherungen im Rahmen ihrer Versicherungsverträge. Ich glaube, dass schon jetzt ein erheblicher Marktdruck erzeugt wird, der gegebenenfalls auch unabhängig von den Ergebnissen des Omnibus-Projekts weiterlaufen wird. Ob die EU-Kommission nun bestimmte Berichtspflichten wieder herausnimmt oder nicht, wenn der Kapitalmarkt eine bestimmte Information nachfragt, wird das Unternehmen diese Nachhaltigkeitsinformation abgeben müssen, auch wenn es dem Gesetz nach aus der Omnibus-Berichtspflicht herausfällt.

Gerade die Versicherer nehmen Klima-Risiken sehr ernst. Wie wirkt sich deren Bewertung auf Unternehmenstätigkeiten aus?
Wenn man sieht, dass künftig Immobilien in entsprechend gefährdeten Gebieten auch gegen Überflutungen versichert werden müssen, wird das die Versicherungsprämien sehr stark in die Höhe treiben. Das gilt für Firmen- und Geschäftsbauten ganz genauso, und es ist ja klar, dass man diese Umweltrisiken besser quantifizieren und einpreisen muss und diese Risiken dann auf den Kunden übertragen werden. Wenn Unternehmen Produkte in Regionen herstellen lassen, in denen problematische Klimabedingungen vorherrschen, werden diese Kosten natürlich auf diese Produkte umgewälzt werden müssen mit der Folge erhöhter Angebotspreise. Der Staat müsste dann ggf. einen Markteingriff vornehmen und versuchen, nachhaltigere Produkte zu vergünstigen und nicht-nachhaltige teurer zu machen.

„Wenn beschlossene Gesetze immer wieder verändert werden, fördert das auch die Gefahr des Lobbyismus“

Auch von der Auto-Industrie, einer Schlüsselbranche für Energie- und Verkehrswende, soll Druck genommen werden: Die Abgas- und Bußgeldvorgaben sollen gelockert werden. Welche Effekte hat die Maßnahme kurzfristig, welche langfristig?
Angesichts der Wettbewerbssituation mit China möchte die EU nun den Druck reduzieren, weil die Unternehmer der EU zurückgemeldet haben, dass sie die starren CO2-Ziele wahrscheinlich kurzfristig nicht erreichen können. Man hat auch gesehen, dass die Nachfrage nach E-Fahrzeugen nicht die nötigen Zahlen aufweist im Vergleich zu der nach Verbrenner-Fahrzeugen. Deswegen hat die EU-Kommission für diese Branche jetzt Möglichkeiten geschaffen, kurzfristig Kosten zu reduzieren, indem die Strafzahlungen für den Automobil-Bereich ausgesetzt werden und die CO2-Ziele über einen längeren Zeitraum von drei Jahren gestreckt werden können. Das ist für die betroffenen Unternehmen kurzfristig gesehen günstig, es schafft ihnen Luft, aber es ist klar, dass gerade diese Branche in den nächsten Jahren nachhaltig transformiert werden muss, denn der Verbrenner hat langfristig keine Zukunft. Wenn die Automobil-Branche nicht mitzieht, glaube ich nicht, dass wir das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 erreichen können – in Deutschland wollen wir ja bereits 2045 klimaneutral sein, fünf Jahre vor der EU-Vorgabe. Die Automobil-Industrie ist Deutschlands Schlüsselindustrie, es hat massive Auswirkungen auf die gesamte deutsche Wirtschaft. Man merkt es an den aktuellen Diskussionen: auf der einen Seite Wachstum schaffen und auf der anderen Seite Nachhaltigkeitsbestrebungen einhalten, das führt eben zu einem Spannungsverhältnis, insbesondere aus der kurzfristigen Sicht. Denn Nachhaltigkeit ist mit großen Investitionen verbunden, die sich kurzfristig auch negativ auf die Finanzrendite auswirken können, weil weniger Liquidität zur Verfügung steht, weniger an Investoren ausgeschüttet werden kann etc. Wenn man vorwiegend kurzfristig orientierte Investoren bei börsennotierten Unternehmen hat, können diese einen natürlich abstrafen, wenn man für das aktuelle Jahr keine ausreichende Dividende zahlen kann. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Nachhaltigkeit und Bürokratieabbau ist die große Herausforderung, vor der die EU-Kommission steht, aber eben auch die deutsche Wirtschaft.

Mittelfristig könnte es im EU-Parlament auch Mehrheiten für das Kippen des „Verbrenner-Aus“ geben. Welche Auswirkungen hat das Infrage-Stellen von beschlossenen Maßnahmen wie dieser auf die Unternehmen, vor allem unter dem Aspekt der Planungssicherheit?
Das ist symptomatisch für das, was wir vorhin schon angesprochen haben: Die Nachhaltigkeitsregulierungen (CSRD, Taxonomie-Verordnung, und CSDDD) inhaltlich auszuhöhlen, würde zu einem höchstmöglichen Maß an Rechts- und Planungsunsicherheit führen. Wenn Maßnahmen, die gerade beschlossen wurden, nach einigen Monaten wieder verändert werden, befindet sich die EU in einer schweren Legitimitätskrise. Wir brauchen Rechtssicherheit für alle Betroffenen, sonst nimmt irgendwann niemand mehr die Regulierungen der EU ernst. Diejenigen Unternehmen, die den Kopf in den Sand gesteckt und abgewartet haben, werden durch das Omnibus-Paket quasi belohnt. Und diejenigen, die frühzeitig aktiv geworden sind mit Nachhaltigkeitsaktivitäten, fühlen sich jetzt auf den Arm genommen. Das kann kein guter Anreiz für die Wirtschaft sein, der Anreiz muss vielmehr darin bestehen, dass diejenigen, die frühzeitig erfolgreich Nachhaltigkeitsmanagement betreiben, vom Regulator honoriert werden. Wenn beschlossene Gesetze immer wieder verändert werden, fördert das auch die Gefahr des Lobbyismus – dann kommen die Akteure zu dem Schluss, dass man nur seine Macht ausüben und jegliche EU-Regulierung lange genug kritisieren muss, dann wird die EU schon nachgeben und sie wieder modifizieren. Das sehen wir bei den bereits thematisierten Green Deal-Regulierungen, das Gleiche beobachten wir auch aktuell bei der EU-Entwaldungsverordnung und eben auch beim Datum des Verbrenner-Aus, das noch weiter in die Zukunft verschoben werden soll. Man muss schon in der Planungsphase mit den Stakeholdern und insbesondere mit den Unternehmen sprechen und Szenarien entwickeln, die realistisch sind, auch unter der Prämisse eines angemessenen finanziellen Erfolgs. Aber wenn man erst dann auf die Kritik der Unternehmen eingeht, wenn die Regulierungen fast finalisiert sind, ist das eine völlig falsche Taktik. Es kann sein, dass wir uns bereits in einer großen Reputationskrise in der EU befinden und die öffentliche Wahrnehmung der EU als Institution leidet, weil man ihr kein Vertrauen mehr bei Nachhaltigkeitsregulierungen entgegenbringt.

„Ich finde es schade, dass man häufig Nachhaltigkeit mit Bürokratieaufbau gleichsetzt“

Es wäre also letztlich ein Eigentor?
Die Nachhaltigkeitskritiker freuen sich, und diejenigen, die sich aktiv für unternehmerische Nachhaltigkeitsbestrebungen einsetzen, verlieren nach dem Omnibus ggf. ihre Druckmittel. Ich habe das bei einigen mittelständischen Mitarbeitenden in den Nachhaltigkeitsabteilungen von Unternehmen erlebt, die haben jetzt große Schwierigkeiten, ihre Vorgesetzten zu überzeugen mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung weiterzumachen – da werden Budgets gekürzt, einige werden auch entlassen, davon spricht in der aktuellen Diskussion leider niemand: die Nachhaltigkeitspolitik der EU-Kommission und der deutschen Bundesregierung kann dazu führen, dass gerade aufgebaute Nachhaltigkeits-Abteilungen, sowohl bei Erstellern als auch bei Beratungshäusern, wieder reduziert oder diese aufgelöst werden.

Im Zuge der Berichterstattung zum Koalitionsvertrag der neuen Regierung wurde oft kommentiert, dass diese den Themen Klimaschutz und Energiewende weit weniger Priorität einräumt. Durch welche Vorhaben äußert sich das konkret?
Das kann man etwa daran erkennen, dass sich Bundeskanzler Merz sowohl für eine Abschaffung des nationalen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes ausspricht, als auch, gemeinsam mit Präsident Macron, für eine Abschaffung des europäischen Regulierungsrahmens CSDDD - nicht nur für eine Abschwächung oder zeitliche Verschiebung, sondern für eine komplette Streichung der Richtlinie. Diese Ziele stehen auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung, alles unter der Zielsetzung des Bürokratieabbaus. Andererseits ist es nicht so, dass die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit aus dem Koalitionsvertrag per se wegdividiert würden. So ist es gelungen, die Zielsetzung der Klimaneutralität im Grundgesetz zu verankern und die Bundesregierung bekennt sich nach wie vor zu diesem Ziel, daran hat man nicht rütteln wollen. Ich finde das aktuelle Verhalten der Bundesregierung recht ambivalent und widersprüchlich und ich bin mir nicht so sicher, inwieweit diese in sich nicht kritiklose Ambivalenz - auf der einen Seite das Erreichen der Klimaneutralität zu bejahen, aber andererseits im Bereich der Nachhaltigkeit einen großen Bürokratieabbau zu versprechen - am Ende nicht doch zu groß wird, um den Nachhaltigkeitszielen bestmöglich zu folgen. Meine Einschätzung ist aus Unternehmensperspektive: Wenn Unternehmen künftig von den Sorgfaltspflichten in Bezug auf ihre Lieferketten befreit werden sollen, wie es Merz möchte, wird das aus meiner Sicht zu einer deutlichen Abschwächung des betrieblichen Nachhaltigkeitsmanagements führen. Ich finde es schade, dass man häufig derzeit Nachhaltigkeit mit Bürokratieaufbau gleichsetzt und alle Bestrebungen, Nachhaltigkeitsbemühungen zu streichen, automatisch mit dem Label des „Bürokratieabbaus“ versehen werden. Das finde ich eindimensional, denn aus aktiven Nachhaltigkeitsmaßnahmen im Bereich Umwelt und Soziales können auch Chancen für die Unternehmen entstehen, z.B. Wettbewerbsvorteile, da sie resilienter gegenüber künftigen Klimarisiken werden. Von den potenziellen Chancen einer aktiven Nachhaltigkeitssteuerung sprechen zurzeit nur wenige, die aktuelle Diskussion beschränkt sich auf kurzfristige Kostenersparnisse.

„Durch ein Aussitzen werden betriebliche Nachhaltigkeitsrisiken nicht weniger“

In welchem Verhältnis stehen die Vorhaben der neuen Bundesregierung zu den Vorgaben des Green Deal der EU – Stehen sie im Konflikt, oder sind sie im Einklang?
Wenn Macron und Merz, Frankreich und Deutschland als die beiden größten Volkswirtschaften der EU, gegen unternehmerische Nachhaltigkeitsregulierungen wie die CSDDD sind, ist es wahrscheinlich, dass andere EU-Länder mitziehen im EU-Rat. Dieses Risiko sehe ich auf jeden Fall – warum sollten kleinere Mitgliedsstaaten, die auch finanzielle Probleme haben und nicht so nachhaltigkeitsaffin sind, dann dagegenhalten? Wenn schon die beiden größten europäischen Motoren diese Themen nicht aktiv vorantreiben wollen. Auch im Rechtsruck des EU-Parlaments liegt eine große Gefahr begründet, dass Nachhaltigkeitsregulierungen abgeschwächt oder gegebenenfalls sogar abgeschafft werden. Was nun aus dem Omnibus wird, da müssen wir die nächsten Wochen und Monate abwarten. Bald wird ein abgestimmter Entwurf des Rechtsausschusses erwartet, der soll dann zum Oktober hin in die Verhandlungen gehen. Ich rechne damit, dass zum Jahresende das ganze Omnibus-Paket verabschiedet wird, und dass dann auch ein entsprechend abgespecktes Berichtsrahmenwerk (ESRS) vorliegt, das dann hoffentlich auch Rechtssicherheit für die Unternehmen herstellt. Wir müssen abwarten, ob es die neue Bundesregierung schafft, auf der einen Seite massiv den Wettbewerb zu erhöhen und Wohlstand zu vermehren, dies aber auf der anderen Seite nicht unter der Bedingung tut, dass die Nachhaltigkeitsziele verfehlt werden, das wäre ein Rückschritt. Nur durch ein Aussitzen werden betriebliche Nachhaltigkeitsrisiken nicht weniger und wir sehen es ja, welche gravierenden Umweltprobleme wir auch hier in Deutschland haben und wie sich diese auf Unternehmen auswirken.

Um Klimaneutralität zu erreichen, müssten politische Maßnahmen über Jahrzehnte Bestand haben – welche politischen Bedingungen müssen dafür gegeben sein?
Nachhaltigkeitsregulierungen haben eine höhere Erfolgsträchtigkeit bei demokratisch regierten Parteien und Regierungen, das ist ganz klar. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie Trump innerhalb von wenigen Wochen und Monaten in Sachen Nachhaltigkeit die ganze Welt verändert hat, im negativen Sinn, etwa beim Stichwort Diversity: Auch deutsche Konzerne wie SAP und VW haben bereits ihre Kommunikationsstrategien entsprechend angepasst, um weiterhin öffentliche Aufträge der US-Regierung zu bekommen. Das zeigt, was wenige Personen für eine Ausstrahlungswirkung haben. Aber eine Ausnahme will ich erwähnen, die hierzulande etwas untergeht: Auch China hat sich für Regulierungen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung ausgesprochen. Die EU-Gesetzgebung war hier ein Katalysator, auch so etwas wie die CSRD einzuführen. China steht in Sachen Klima- und Umweltfolgen ebenfalls vor großen Herausforderungen und man ist davon überzeugt, dass eine sorgfältige Implementierung von Umweltaspekten wachstums- und konkurrenzfördernd sein kann. Dies geht ggf. zu Lasten von sozialen Zielen – Stichwort Menschenrechte in bestimmten Provinzen, das möchte ich nicht verschweigen. Dies verdeutlicht auch, dass Nachhaltigkeitsziele ebenfalls untereinander in einem großen Spannungsverhältnis stehen können.

Interview: Christopher Dröge

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