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Sebastian Brandis
Foto: Menschen für Menschen / Rainer Kwiotek

„Der Verkauf des Kaffees nach Europa ist gestoppt“

26. September 2024

Teil 3: Interview – Sebastian Brandis, Sprecher der Stiftung Menschen für Menschen, über das EU-Lieferkettengesetz

choices: Herr Brandis, das EU-Lieferkettengesetz ist in diesem Jahr beschlossen worden. Worum geht es dabei? 

Sebastian Brandis: Im Wesentlichen geht es darum, dass Unternehmen verpflichtet werden sollen, in ihrer Lieferkette dafür zu sorgen, dass Menschenrechte und Umwelt pfleglich, fair und gerecht behandelt werden. Sowohl in der Zulieferkette als auch in der Kette, die danach folgt, also Vertrieb, Transport und Lagerung der hergestellten Produkte. Das Gesetz ist erst im Juni 2024 auf EU-Ebene entschieden worden. Genauer gesagt ist es eine Richtlinie, die innerhalb von zwei Jahren in nationale Gesetze umgesetzt werden soll, sodass jedes Land ein eigenes Gesetz dafür hat. Die eigentliche Wirksamkeit tritt wahrscheinlich erst ab 2027 in Kraft. Dann kommen immer mehr Unternehmen dazu. Am Anfang sind es Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitern und 1,5 Milliarden Umsatz. Es geht dann in drei Stufen runter bis zu Unternehmen über 1.000 Mitarbeiter und 450 Millionen Umsatz, die dazu verpflichtet werden sollen, die Berichterstattung zu erstellen. 

„In der Umsetzung gibt es noch sehr viele Schwierigkeiten“

Was läuft bei der Richtlinie gut? 

Der Ursprung ist die berühmte Rana-Plaza-Katastrophe von 2013, als Textilfabriken von Herstellern in Bangladesch niederbrannten, die in Europa verkaufen. Und das – hat man gesagt – darf nicht sein. Dementsprechend wollte man lange eine freiwillige Verpflichtung der Unternehmen erreichen. Leider haben sich die Unternehmen nicht ausreichend daran beteiligt. Daraufhin wurde eine Frist gesetzt. Denn, dass Unternehmen hier Produkte verkaufen, die auf Kosten von Menschen entstehen, die keine andere Wahl haben in der Welt und dementsprechend unter nicht lebenswerten Bedingungen arbeiten und leben müssen, ist nicht akzeptabel. Grundsätzlich ist der Gedanke dieser Richtlinie natürlich vernünftig. In der Umsetzung, glaube ich, gibt es noch sehr viele Schwierigkeiten. Denn letztlich ist vieles in der Praktikabilität nicht geklärt. Wir fragen uns, ob es wirklich dem dient, wofür es gedacht ist. Ich persönlich muss jetzt nicht alle Lieferketten der Welt auswendig kennen, um sagen zu können, dass das Gesetz, so wie es jetzt heute aufgesetzt ist, nicht sinnvoll und machbar ist. In größeren Industrien, wie vielleicht Textil, in denen es Fabriken gibt, die man klar lokalisieren und Verantwortliche finden kann, da ist ein Reporting wahrscheinlich einfacher möglich als in informelleren, sehr verzweigten Lieferketten, in denen sehr viele kleine Player mitspielen. 

„Letztlich ist ein Menschenrecht auf eine saubere Umwelt gefährdet“

Berücksichtigt die Richtlinie Umweltrisiken angemessen? 

Nein. Das Lieferkettengesetz, so wie es aufgesetzt ist, betrachtet primär menschenrechtliche Themen. Umweltthemen kamen eigentlich eher zum Schluss rein und sind dementsprechend auch eher rudimentär enthalten. Das war auch die Kritik einzelner Bewegungen dazu. Nun kann man sagen, dass, wenn die Umwelt mit zerstört wird, auch letztlich ein Menschenrecht auf eine saubere Umwelt gefährdet ist. Stichwort: Zugang zu Wasser ist de facto ein Menschenrecht. Indirekt lässt sich daraus auch eine Verpflichtung dazu ableiten, die Umwelt zu schützen, doch richtig einklagbar ist sie wahrscheinlich nicht. Es gibt natürlich eine ganze Reihe von anderen Gesetzen auf EU-Ebene, wie z.B. das Entwaldungs- oder auch das Biodiversitätsgesetz, die wiederum separat die Verpflichtung des Umweltschutzes auf anderem Wege sicherstellen sollen. Dementsprechend ist es im Lieferkettengesetz vielleicht gar nicht notwendig, es zusätzlich einzubringen. 

„Menschen, die man durch ein solches Lieferkettengesetz schützen will, leiden darunter“

Wie sollte die Richtlinie verändert werden? 

Je mehr Sie an Reporting und Dokumentation verlangen, desto mehr haben kleinere Player im Markt Schwierigkeiten, das einzuhalten. Das heißt, es gibt dabei einen gewissen natürlichen Konsolidierungsprozess. Im Extremfall kann das die Kleinbäuerin oder der Kleinbauer überhaupt gar nicht leisten. Entweder entstehen dadurch sozusagen größere Strukturen wie Kooperativen, die ihnen das abnehmen müssen, oder es entstehen Merger von Firmen. Ich würde es gerne am Beispiel Kaffee deklinieren. Da kann man es jetzt schon an der Entwaldungsverordnung sehen, die seit Mitte 2023 in Kraft getreten ist und ab Januar 2025 scharf geschaltet wird. Das Gesetz verlangt für Kaffee-Länder, in denen heute noch eine sehr kleinbäuerliche Struktur herrscht, etwas, das sie de facto nicht leisten können. Äthiopien ist da ein Beispiel mit drei bis fünf Millionen Kleinbauern. Man kann sie in Zahlen nicht genau bestimmen, da viele Bauern den Kaffee nur teilweise anbauen und gleichzeitig noch Früchte, Gemüse oder Getreide. Während andere Länder wie Brasilien oder Vietnam mit großen Plantagen viel einfacher einen Beweis darlegen können, dass sie auf ihrer Plantage in den letzten drei Jahren nicht entwaldet haben, können besagte Kleinbauern das nicht so gut. Hiesige Röster – ob es jetzt ein Tchibo oder wer auch immer ist – werden letztlich nicht gezwungen, aber wegen der hohen drohenden Pönalen im Gesetz vielleicht geneigt sein, dadurch eher bei Großplantagen einzukaufen als bei Kleinbauern, weil sie die Informationen, die sie abliefern müssen, einfach nicht bekommen. Das Absurde dabei ist: Die Menschen, die man eigentlich durch ein solches Lieferkettengesetz oder ein heutiges Entwaldungsgesetz, das schon vorgeschaltet ist, schützen will, leiden eigentlich darunter. Da ist die Frage, wie man das noch heilen kann. Das kann man, indem man die Anforderungen der Granularität dessen, was berichtet werden muss, etwas lockert und hier risikobasiert arbeitet. Am schönen Beispiel Kaffee lässt sich das sehr gut ablesen. Denn Kaffee ist eine Pflanze, die eigentlich am liebsten und am besten unter Bäumen wächst, im Schatten. Das heißt, dass Kaffee eigentlich zu Entwaldungen nur geringfügig beiträgt, ganz im Gegenteil. Das ist auch in der ursprünglichen Studie 2018 von der EU selbst ermittelt worden. Kaffee wird sogar genutzt, um Wälder wiederherzustellen. Die Situation ist also folgende: Es gibt eigentlich gar kein Entwaldungsproblem bei Kaffee in Äthiopien. Gleichzeitig muss aber jeder Kleinbauer nachweisen, dass er nicht entwaldet hat, kann das aber nicht. Er kann also den Kaffee, der eigentlich vollkommen vernünftig und ökologisch sinnvoll wächst, nicht mehr in die EU verkaufen. Wenn man also hier bewusst risikobasiert arbeitet, schaut, wie hoch das Risiko in einem Land wie Äthiopien oder einer gewissen Region ist, und per Satellitenbildern feststellt – da gibt es mittlerweile tolle Techniken – dass das Risiko z.B. unter 5 Prozent ist, dann könnte man den Kaffee auch einfach zulassen. Doch dazu ist die EU im Moment noch nicht bereit. 

„Viele Kaffee-Röster haben sich noch mit Kaffee aus Äthiopien eingedeckt“

Europa könnte also als Abnehmer für Kaffee von Kleinbauern wie aus Äthiopien wegfallen. Wie wahrscheinlich ist das?

Ich komme gerade aus Äthiopien. Vor drei Tagen [das Interview wurde Anfang September geführt; d. Red.] habe ich mit einem der größten Kaffeehändler dort zu Mittag gegessen. Die Händlerin, in dem Fall eine Frau, hat mir bestätigt, dass quasi der Verkauf des Kaffees nach Europa gestoppt ist. Es kauft kein europäischer Röster mehr in Äthiopien Kaffee ein, weil sie nicht wissen, welches Risiko sie damit eingehen. Denn von der EU gibt es bisher keine klare Aussage darüber, ob sie bestraft werden. Es gibt ein kleines Strohfeuer: Dieses Jahr haben sich ganz viele Kaffee-Röster noch mit Kaffee aus Äthiopien eingedeckt, und zwar mehr als normalerweise. Der letzte Kaffee wird im September verschifft, denn dann kommt er noch im Dezember hier an. Und sofern er die EU in diesem Jahr erreicht, ist er noch nicht von der Entwaldungsrichtlinie betroffen. Die Kaffee-Röster können ihn dann dementsprechend noch verkaufen. Einige verdienen also noch gut daran. Aber ab September wird der gesamte Verkauf zum Erliegen kommen. Damit fallen ungefähr 30 Prozent des Exports von äthiopischem Kaffee weg. Und was machen die äthiopischen Kaffee-Händler:innen jetzt? Sie sprechen mit China, Südkorea und Saudi-Arabien, um den Kaffee dahin zu verkaufen. Das ist die Realität, Stand heute. 

„Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich zu nähern, ohne dem Geist des Gesetzes etwas zu nehmen“

Wie ließe sich das noch ändern?

Es gibt verschiedenste Wege. Ich weiß, dass die EU mit äthiopischen Behörden und auch mit dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Deutschland im Gespräch ist. Ich habe Briefe gesehen, die dort hin- und hergehen. Die eine Lösung wäre, dass man einen sogenannten Territorial Approach zulässt. Das heißt, man macht Satellitenbilder über gewisse Regionen oder Teilregionen. Äthiopien könnte anhand derer nachweisen, dass in den letzten drei Jahren nicht entwaldet wurde. Diese Regionen könnte man in einzelnen Blöcken freigeben und in einem Fall, in dem man irgendwo Entwaldung feststellt, müsste man diesen Kaffee dann rausnehmen. Das wäre denkbar. Die zweite Möglichkeit wäre, dass man eine gewisse Übergangsfrist zulässt und die Deadline quasi noch mal um sechs oder zwölf Monate verschiebt, um da noch nachzuschärfen. Die dritte Option wäre, dass einzelne Mitgliedsländer der EU das Risiko in Kauf nehmen, ihre eigenen Bewertungen machen und nicht sanktionieren, wenn gewisse Dinge eingehalten werden. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten, sich zu nähern, ohne dem Geist des Gesetzes, nämlich Entwaldung zu stoppen, auch nur etwas nehmen zu müssen. In dem Sinne würde man Entwaldung in keinster Weise weiter fördern.

„Zynisch, einen Kollateralschaden von drei bis fünf Millionen Bauern hinzunehmen“

Müssten bestimmte Akteure noch einmal an einen Tisch kommen, um das näher auszuführen? 

Ja, mit Sicherheit. Ich habe gerade wieder mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) gesprochen. Sie will einen Roundtable einberufen, bei dem sie, neben uns, die Bundesministerien, die EU und die äthiopischen Kaffeeexporteure zusammenholt, um Lösungswege anzustoßen. Das muss auf verschiedenen Ebenen passieren. Ich verstehe ja eine EU, die ein Gesetz beschlossen hat, das sieben verschiedene Wertschöpfungsketten enthält: Für Soja, Mais, Palmöl – ist alles mit drin. Wenn es 30 Hersteller pro Wertschöpfungskette sind, sind es rein rechnerisch ca. 200 mögliche verschiedene Fälle. Und wenn jeder einzelne Fall dieser Wertschöpfungskette in dem jeweiligen Land noch eine Ausnahme will, dann wird man natürlich nie ein Gesetz umsetzen können. Das ist politisch verständlich. Gleichzeitig finde ich es zynisch, dass man quasi einen Kollateralschaden von drei bis fünf Millionen Bauern hinnimmt. Man fördert sie auf der einen Seite mit Entwicklungsgeldern, um Kaffee anzubauen. Gleichzeitig lässt man sie nicht mehr in den europäischen Markt rein, ohne, dass sie der Natur ansatzweise schaden. Das ist ein bisschen absurd bei der ganzen Geschichte. Hier sollte man schon eine Abwägung treffen, bei der das parteipolitische Interesse etwas zurückstehen muss, um mit dem Gesetz wirklich etwas für die vielen Menschen erreichen zu können. Der Wille muss auf allen Seiten da sein. Wenn man sich darauf zurückbesinnt, was man eigentlich mit dem Gesetz wollte, wem man nützen oder potenziell schaden würde, dann ist meiner Ansicht nach ein Kompromiss möglich, ohne vom eigentlichen Willen des Gesetzes auch nur ein wenig abzurücken. Warum ist es so schwer nachzuvollziehen, wo der Kaffee herkommt? Man muss erst einmal verstehen, wie ein afrikanischer oder äthiopischer Kleinbauer tickt. Ein Bauer oder eine Bäuerin hat vielleicht 1,5 Hektar, auf denen sie alles Mögliche anpflanzt: Papaya, Bananen, Tomaten, Avocado und eben auch Kaffee. Das Ganze im Agroforestry-Betrieb, es ist vergleichbar mit der Permakultur-Idee. Und diese ganzen Güter sind „perishable items“, sprich, sie vergehen schnell. Papaya beispielsweise verfaulen, sie müssen schnell verkauft werden. Die einzige Frucht davon, die wirklich lagerbar ist, ist der Kaffee. Die Bauern packen also den Kaffee, den sie geerntet haben, erstmal in ein kleines Lager und nutzen ihn de facto als kleine Bank für sich. Den Kaffee verkaufen sie immer in Stücken, wenn sie gerade Geld brauchen. Es ist wie so eine Art „working capital“. Sie haben in der Regel kein Bankkonto, können manchmal nicht mal lesen und schreiben. Wenn man jetzt sagt, „Ne, den Kaffee darfst du nicht verkaufen“ oder „Ihr müsst ihn in einer gewissen Größenordnung verkaufen, damit wir ihn bis zum Hof zurückverfolgen können“, dann nimmt man ihnen auch noch eine gewisse Versicherung bzw. einen geschickt nutzbaren Cashflow weg – eine echte ökonomische Auswirkung. Das machen sich manche Leute gar nicht klar. Und interessant ist, dass es viele Leute gibt, die nur auf die Natur schauen, nur auf Gesundheit, nur auf Ökonomie , aber eben nur auf das. Das Gesetz ist ein bisschen so gestrickt, dass es nur auf die Entwaldung schaut, aber die Komplexität des Zusammenlebens zwischen Natur und Mensch in diesen Regionen nicht genau genug versteht, um darauf Rücksicht nehmen zu können. 

Ein ganzheitlicher Ansatz bleibt auf der Strecke? 

Genau. Das ist der entscheidende Webfehler in den ganzen Geschichten. Dass die Ganzheit der Menschen in diesen Gesetzen auf der Strecke bleibt und ein politisches Interesse durchgesetzt werden soll.

Interview: Nina Hensch

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