choices: Konsum steigert das Wachstum, schafft Arbeitsplätze und macht Spaß. Was haben Sie gegen Konsum, Herr Paech?
Nico Paech: Gegen Konsum ist per se nichts einzuwenden, sondern gegen maßlosen Konsum, der erstens ökologisch nicht verantwortbar ist und uns zweitens als Individuen gar nicht gut tut. Nicht wenige Menschen leiden unter Konsumverstopfung, weil sie mehr Dinge kaufen als sie an Zeit haben, um diese Dinge sinnstiftend zu nutzen. Das bedeutet Stress anstelle Genuss.
Ist der moderne Mensch als Konsument also unglücklich?
Nur dann, wenn er das Maß an Selbstverwirklichungsoptionen, die er angesichts knapper, nicht vermehrbarer Aufmerksamkeit noch verarbeiten kann, übertroffen hat. Mir geht es also darum, den Konsum aufzuwerten.
Sie meinen, wir sollten Verzicht üben?
Das eben nicht. Verzicht hieße, sich gegen den eigenen Willen oder aus der Not heraus Genüsse zu verbieten. Suffizienz meint, sich vom Überfluss zu befreien. Konsum kann nur dadurch aufgewertet werden, dass der Mensch nicht mehr einer Inflation der Reize ausgesetzt ist. Reizüberflutet kann niemand stressfrei konsumieren. Denn der Wert, den die Dinge für mich haben, speist sich nicht aus dem Material – ob sie aus Gold oder Plastik sind oder wie hoch der Preis war, den ich gezahlt habe –, sondern aus meiner Befähigung, den Dingen die Zeit zu geben, die sie brauchen um bei mir einen positiven Stimulus auslösen zu können. Wir sollten durch die Reduktion des Konsums den verbliebenen Konsum aufwerten.
Mehr Genuss durch weniger Konsum klingt widersprüchlich.
Wer reizüberflutet ist oder unter einer Lawine von Produkten und Betätigungen zu ersticken droht, kann nicht mehr genießen, weil die menschliche Aufnahmekapazität begrenzt ist. Man kann es auch drastischer sagen: Wenn man sich ein bösartiges Geschwür entfernen lässt, reden wir auch nicht von Verzicht, sondern von Befreiung.
Was wären die Konsequenzen für die Sphäre der Produktion?
Ein Teil der Industrieproduktion würde unnötig, wenn wir uns durch den Abwurf unnötigen Ballastes klug auf weniger Dinge konzentrieren würden und manches davon gemeinschaftlich nutzen würden. Das geht auch ohne Märkte und ohne Geld. Nur noch ein Bruchteil der Produktion, des Geldes und der Arbeitszeit wären dann nötig. Die gesparte Arbeitszeit könnte verwendet werden, um sich der Pflege und Reparatur von Dingen zu widmen oder sogar selbst zu produzieren, etwa Nahrungsmittel.
Wie mus man sich den Übergang in eine Postwachstumsökonomie vorstellen?
Die Postwachstumsökonomie beruht darauf, die Arbeitszeit zu verkürzen. Wenn die Wirtschaft kleiner wird, sieht man das gemeinhin als Nachteil an. Aber man könnte aus der Not eine Tugend machen, indem man sagt: Die frei gestellte und dann auch entkommerzialisierte Arbeitszeit, die ließe sich in die drei von mir genannten Formen der modernen und urbanen Selbstversorgung stecken. Das kann geordnet passieren, man kann es aber auch ungeordnet machen. Indem Sie und ich morgen versuchen, zehn Stunden weniger zu arbeiten und gleichzeitig die zehn Stunden zu einer Basis für Selbstversorgungsaktivitäten machen. Dazu gehört auch eine Vernetzung, damit wir die Selbstversorgung arbeitsteilig so hinbekommen, dass Menschen ihre unterschiedlichen Kompetenzen und Talente in Synergie gut ergänzen können. Wenn das gut funktioniert, dann gehen wir einen Schritt weiter und gehen wieder zehn Stunden runter mit der kommerzialisierten Arbeitszeit. Das muss nicht nach dem Rasenmäherprinzip gehen und allen Menschen aufoktroyiert werden. Das wäre mir nicht freiheitlich genug. Ich würde einfach anregen, dass diejenigen, die bereit und fähig sind das zu tun, den Schritt machen um den anderen zu zeigen, wie es geht.
Was wären die Konsequenzen für Sozialstaat und Gesundheitsversorgung?
Die Gesundheitsversorgung ist ein Industriesystem, das repariert, was die moderne Konsumgesellschaft durch Stress, Bewegungsarmut und schlechte Ernährung an Schäden anrichtet. Würden wir mehr handwerklich, künstlerisch, körperlich-manuell arbeiten und uns gesünder ernähren, wäre zumindest ein Teil der Gesundheitsversorgung in der aktuellen Form nicht mehr nötig. Auch der Sozialstaat muss nicht abgeschafft werden, weil es immer Menschen geben wird, die aufgrund ihrer Hilfsbedürftigkeit einer Unterstützung durch den Staat bedürfen. Im Übrigen könnte der Staat soziale Leistungen problemloser finanzieren, wenn er weniger wachstumsstimulierende Subventionen ausstreuen würde.
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