Am Donnerstag wurde im Europaparlament der Klimanotstand ausgerufen. Für viele müssen nun aber auch Taten folgen. Den „Druck erhöhen“ will in Köln das um Fridays for Future herum entstandene Bündnis Climate Action Köln mit einer von rund 500 bundesweiten Demos. 20 Schulen seien über Nacht von den Aktivisten geschlossen worden, verkünden die Veranstalter um kurz nach 11 Uhr auf dem Hohenzollernring. 20.000 Teilnehmer sind an dem kühlen Morgen zu dem Klimastreik mit dem Hashtag #NeustartKlima gekommen.
„Wir werden weiterhin laut sein“
„Nichts ist passiert“, resümiert Bündnis-Sprecherin Emily auf der Bühne an der Ehrenstraße nach etwa einem Jahr Protesten. Die Klimabewegung wachse weiter, es sei „Zeit zum Handeln“ und generationenübergreifend gegen die „völlig unzureichende Klimapolitik der Bundesregierung“ Stellung zu beziehen. „Wir fordern eine komplette Neubearbeitung des Klimapakets.“ Großkonzerne müssten von der Politik unter strengere Auflagen gestellt werden und Klimapolitik dürfe nicht zu Lasten der Menschen mit niedrigen Einkommen gehen. Global gesehen löse eine „unsolidarische Klimapolitik“ Flüchtlingsströme aus. Deutschland brauche „flächendeckenden ÖPNV für alle“. Padma von Fridays For Future ging auf die Wirtschaft mit ihren Lobbyverbänden ein und warf der Bundesriegierung vor, nicht in der Lage zu sein, die Probleme zu lösen. „Wir werden weiterhin laut sein!“
„Ihr seid Idioten“
Der DGB Köln-Bonn (Deutscher Gewerkschaftsbund) erklärte sich in Person des Vorsitzenden Witich Roßmann weiterhin solidarisch mit der FFF-Bewegung und unterstrich die Forderung nach „Klimagerechtigkeit“, wo Klimaschutz nicht auf den Schultern von Arbeitnehmern, Jugend und Senioren betrieben wird. In Hinblick auf Stickoxide, CO2 und Feinstaub erklärte er, Fahrverbote müssten für alle statt nur für Dieselfahrzeuge verhängt werden. „Und in der Zeit kann sich jeder überlegen, wie man auch anders zur Arbeit kommt.“ Im Rheinischen Braunkohlereview sollten neue Technologien, etwa Energiespeicher, heranreifen. „Wir brauchen kein Wachstum, für das Luft, Wasser, Wald nur billige Ressourcen sind, die rücksichtlos ausgebeutet, zerstört und billigst für profitable Produktion benutzt werden.“ An die AfD richtet er die Worte: „Ihr seid Idioten und habt es nicht verstanden.“ Die Partei ist für die Leugnung eines menschengemachten Klimawandels und nun für die Forderung einer Rückkehr zur Atomkraft bekannt.
Für das musikalische Programm zeichnet vor allem das Bündnis „Arsch huh“ verantwortlich, das auch die Bühne mit organisiert hat. Bands und Gruppen wie die Höhner, Bläck Fööss, Cat Ballou, Kasalla und Brings spielen in stark ausgedünnter und vermischter Besetzung populäre Köln-Songs und bringen ihr Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit mit; Veedel Kaztro kommt später mit Rapsongs wie „Falafel“ weit vom Thema ab. Nur der grandiose Rolly Brings (76) hat mit „Das Meer“ einen echten Klima-Song parat, den er schon 2007 für eine Klimademo geschrieben hat.
„Parallelen zu meiner Jugend“
Um halb eins geht es in Richtung Ebertplatz: Naturschutzverbände laufen mit Familien, Gewerkschaften, der Queer-Community und antikapitalistischen Gruppierungen. Das Alter spielt dabei keine Rolle: „Die Klimakrise geht uns alle etwas an“, erzählt ein älterer Herr, der sich mit mehreren Bekannten unter dem Banner „Grannies for Future“ versammelt. „Ich erkenne hier viele Parallelen zu meiner Jugend vor 50 Jahren. Und da zeigt sich, dass einfach viel zu wenig passiert ist. Deswegen unterstützen wir Fridays for Future.“ Einige Enkelkinder der Grannies laufen heute auch mit. Und denen wolle man eine sichere Zukunft ermöglichen.
„Die Politik darf einfach nicht nachlassen.“ Sie müsse das Klimaabkommen konsequenter gestalten und kontinuierlich über Fortschritte Bericht erstatten. „Warum gibt es im Ersten die ‚Börse vor 8‘? ‚Klima vor 8‘ mit Berichten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft wäre viel sinnvoller.“
„1,5 Grad sind unverhandelbar“
„Seit dem letzten großen Klimastreik hat sich viel zu wenig getan“, klagt eine Demonstrantin, die für Greenpeace mitläuft. „Die Leute müssen einfach verstehen, dass 1,5 Grad unverhandelbar sind.“ Wissenschaftler warnen schon seit Jahren vor dem „Point of no return“, an dem wir die Erwärmung nicht mehr aufhalten könnten. Nur was tun? „Man muss CO2 stärker besteuern“, argumentiert eine weitere Greenpeace-Demonstrantin. „10 Euro pro Tonne sind ein Witz.“ Laut der „Carbon Pricing Leadership Coalition“ muss der Preis für eine Tonne CO2 ab 2020 zwischen 35 und 70 Euro liegen, damit wir unsere Klimaziele erreichen können.
„Viele Menschen haben Angst vor Veränderung“
Auch der Konsum von Kleidung und Lebensmitteln müsste aber wieder viel bewusster werden – am Black Friday, dem großen Rabatt-Einkaufstag aus den USA, ist diese Feststellung fast schon ironisch. Vor allem beim Thema Ernährung würden sich viele Menschen querstellen. „Das Wort ‚vegan‘ ist ja mittlerweile zu fast so etwas wie einem Schimpfwort geworden“, erzählt eine junge Frau vor einem Banner mit der Aufschrift „Die Nutztierhaltung zerstört den Planeten“. „Viele Menschen haben Angst vor Veränderung, und ich verstehe, dass sie sich nur ungern einschränken. Aber auch beim Thema Essen wird es Zeit, über den Tellerrand zu blicken.“ Vor allem müsse man durch Kampagnen darüber aufklären, dass vegetarische und vegane Ernährung nicht bedeuten, dass das Essen schlecht schmecke.
„Gift für das Klima“
Nach Ende der Laufdemo um 15 Uhr löste sich die Menge langsam auf, nur noch wenige verfolgten die letzte Stunde Bühnenprogramm. David von „Köln stellt sich quer“ bezeichnete den politischen Rechtsruck als „Gift für das Klima“, aber erst Philip vom antifaschistischen Block der Demo zeigte an diesem Tag mit internationalen Beispielen klar auf: „Die politische Rechte formiert sich gegen den Klimaschutz.“ Die während der Demo erfolgte Blockade des Instituts der deutschen Wirtschaft am Konrad-Adenauer-Ufer rechtfertigte er damit, dass es Studien im Auftrag Industriekonzernen durchführe, deren Ergebnisse deren Interessen entsprächen. Er machte sich für ein „System Change“ stark und brachte Einteignungen ins Spiel. An diesem Tag zeigte sich wieder, dass es über mögliche Vorgehensweisen weniger Einigkeit gibt als über die Einschätzung der Lage.
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