„Machen wir uns doch mal kurz klar, worum es hier eigentlich geht. Warum 1,5, warum 2 Grad, warum diese Werte? Nur unterhalb von 2 Grad haben wir gute Chancen, die Ökosysteme, von denen unser Überleben abhängt – Meeresströmungen, Eismassen, Artenvielfalt, Winde und so weiter – einigermaßen im Gleichgewicht zu halten, damit sie keine Kipppunkte überschreiten. Wenn ihr euch partout nicht vorstellen könnt, dass so ein riesen Ding wie der grönländische Eispanzer nach Jahrtausenden stabilen Daseins einfach so abschmelzen könnte, nur weil wir die Straße statt die Schiene ausbauen, seid gewiss: Das kann durchaus passieren!“
Mit diesen Worten fesselt Frank Schätzing an diesem Sonntag, den 27. August 2023 das Publikum. Der Kölner Autor ist unter anderem bekannt durch den Science Fiction-Umweltthriller „Der Schwarm“ (2004), der vor Kurzem als ZDF-Fernsehserie verfilmt wurde. Vor mehreren tausend Menschen entwirft er auf der großen Bühne am Hohenzollernring ein aufrüttelndes Weltrettungsszenario à la James Bond. Wir selbst werden bei Schätzing zu Superheld:innen und müssen alle Hebel in Bewegung setzen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen und den Klimawandel aufzuhalten, denn die Welt steuert auf ihre Zerstörung zu. Wie allen klar sein dürfte, ist das von Schätzing skizzierte Albtraumszenario leider weniger fiktiv, als es die poetische Form vermuten lässt.
Die Folgen des menschengemachten Klimawandels sind längst messbar – und für die Einhaltung des auf der Weltklimakonferenz in Paris 2015 beschlossenen 1,5-Grad-Ziels gehen Umweltaktivist:innen seit Jahren auf die Straße. So wie alle Schüler:innen, Studierenden oder Omas und Opas der, einst von Greta Thunberg durch ihren ikonischen Skolstrejk för klimatet ins Leben gerufenen, inzwischen weltweit engagierten Fridays For Future-Bewegung. Gemeinsam mit der Kölner Musiker- und Künstlerinitiative Arsch huh, Zäng ussenander, die sich seit über dreißig Jahren gegen rechte Gewalt einsetzt, wurde am vergangenen Wochenende ein beeindruckendes Programm auf die Bühne gestellt. Unter dem Motto „Arschhuh fürs Klima“ gab es beim Gamescom City Festival starke Redebeiträge und bekannte Bands wie OK Kid, Kasalla, Cat Ballou, Miljö oder die Höhner sowie junge Künstler:innen wie die feministische Sängerin Liser oder der Indie-Künstler Haller zu hören. Mit ihren Auftritten setzten sie alle ein klares politisches Statement. Nicht nur die Reden, sondern auch die Konzerte wurden die gesamte Zeit über live in Gebärdensprache übersetzt.
Gelassen und humorvoll führen die Moderatorinnen Negah Amiri und Marie Knäpper durch das vielfältige Programm und holen Angehörige verschiedenster Generationen auf die Bühne. Bevor der 25-jährige Fridays For Future-Aktivist Amadeo Kaus mit Rheinenergie-Vertreterin Kerstin Bürker über politische und unternehmerische Versäumnisse in Sachen Klimaschutz diskutiert, hält der 70-jährige Dieter Gehringer eine ausdrucksstarke und gut recherchierte Rede über Klimagerechtigkeit. Der Mitgründer der Grannies for Future Cologne erscheint in einem T-Shirt, das er bewusst für diesen Anlass gewählt habe. Es trägt den Aufdruck: „Act now for Climate Justice“. Neben ihm halten Kaus und Knäpper ein Transparent hoch: „Klimagerechtigkeit! Zahlen müssen die Verursacher“. Letzteres stamme aus dem Jahr 2022, das T-Shirt habe er schon 2016 von einer Tanztheater- und Akrobatikgruppe aus Tansania erhalten. Klimagerechtigkeit sei also ein Thema, das bereits älter ist als die For Future-Bewegungen. Erstmals in den 1990er Jahren habe der Native American-Aktivist Tom Goldtooth die Forderung nach Klimagerechtigkeit formuliert. In erster Linie verantwortlich für den menschengemachten Klimawandel seien wir: der globale Norden. Die Folgen tragen müssten jedoch vor allem die Menschen im globalen Süden. Pro Kopf berechnet wäre Deutschlands CO2-Budget (IPCC) im Jahr 2031 verbraucht. Indien hätte Zeit bis 2079. Historische Emissionen mitgerechnet, hätten wir unser CO2-Budget sogar längst verbraucht. „Das Verursacher-Prinzip verlangt auch, dass die Haupt-Verursacher des Klimawandels für die Kosten für Anpassungs-Maßnahmen und klimabedingte Schäden in Ländern des globalen Südens aufkommen müssen“, betont Gehringer. Und genau das meint die Parole auf dem Transparent.
Mehrere Generationen vereint sind an diesem Tag auch beim Auftritt der Band Lina Bó, die mit ihrem Song „Weiblich“ ein Zeichen gegen patriarchale Strukturen setzt. Als Überraschungsgast wird die Gruppe vom Großvater der Sängerin Celina begleitet, dem Liedermacher Klaus der Geiger. Als einer der bekanntesten Straßenmusiker Deutschlands ist er seit den 1970ern in der linksalternativen Szene aktiv und gibt Konzerte auf Demonstrationen für Umweltschutz und gegen Rassismus. „Wir sind zu dumm und zu bequem“, sonst hätten wir schon längst mehr gegen den Klimawandel getan, so Klaus.
Das durchmischte Publikum reicht von deutlich erkennbaren Klimaaktivist:innen mit Transparenten oder selbstgebastelten Eisbären über verkleidete Cosplayer:innen bis hin zu Musikfans, die alle Texte ihrer Lieblingsbands mitsingen können. Wenn keine Band auf der Bühne steht, schallen ihre Stimmen manchmal etwas zu laut den Redner:innen entgegen. Die Aufmerksamkeit in der lockeren Straßenatmosphäre dauerhaft zu halten ist schwer, nicht nur die Regengüsse bringen Unruhe in die Menge, auch die Essenstände und Fotoboxen verführen zu Ablenkungen. So schließen sich dem Protestruf „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“ nur einige wenige schüchterne Stimmen an. Auch die Positionierung des kleinen Podiums in Form eines improvisierten Stehtisches am Rande der Bühne, während bereits die Umbauarbeiten für die nächsten Musik-Act laufen und die Bühnentechniker:innen hektisch und Kabel verlegend um die Gäste herumkrabbeln, wirkt an einigen Stellen leider so, als seien die politischen Inhalte eine Art Pausenüberbrückung. Sie auf der Bühne mehr ins Zentrum zu rücken, wäre der Dringlichkeit ihrer klimapolitischen Ansprachen mehr gerecht geworden. Zugleich sind durch die Entscheidung, das Gamescom City Festival in diesem Jahr sonntags unter dem politischen Motto „Arschhuh fürs Klima“ stattfinden zu lassen und somit politischen Diskussionen den berechtigten prominenten Platz einzuräumen, sicherlich viele Menschen erreicht worden, die sich ansonsten seltener oder noch nie unter Fridays For Future-Demonstrant:innen zu finden wären.
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