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Tag des guten Lebens
Foto: Agora Köln / Felix Möller

„Die Krisen sind verbunden“

12. September 2019

Martin Herrndorf über den Tag des guten Lebens in Ehrenfeld – Interview 09/19

Mit dem sechsten „Tag des guten Lebens“ kehrt die Bürgerinitiative zurück nach Ehrenfeld, wo 2013 alles begann. „Nachbarschaft macht Zukunft” heißt es am Sonntag, den 15. September in einem großen autofreien Bereich zwischen Ehrenfeldgürtel, Helmholtzstraße, Äußerer Kanalstraße und Subbelrather Straße. Bestimmte Straßenzüge sind dabei aktuellen Ideen und Projekten zu Ernährung, Demokratie, Handel oder Mobilität gewidmet; es soll diskutiert und mitgemacht werden.

choices: Martin, wer steckt hinter dem Tag des guten Lebens in Ehrenfeld?

Martin Herrndorf: Eine engagierte Gruppe von Bürgern aus ganz Köln – deswegen wandert der Tag des guten Lebens ja auch durch die Stadtviertel. Dazu 130 Organisationen und ein Trägerverein, der Institut Cultura 21 e.V., den wir mittlerweile auch übernommen haben. In Ehrenfeld sind wir natürlich nochmal besonders verankert, aber auch in anderen Stadtvierteln gibt es viele Menschen, die uns verbunden sind, Aktionen beim Tag des guten Lebens machen und so weiter. 

Martin Herrndorf
Foto: Simon Veith - Nachhaltige Photographie
Zur Person
Martin Herrndorf arbeitet als freiberuflicher Berater, Autor und Projektentwickler in den Bereichen Sozialunternehmertum, Stadtplanung, Bürgerbeteiligung. Er ist seit vielen Jahren bei der Agora Köln, dem Bündnis hinter dem Tag des guten Lebens, aktiv.

Sein Zweck?

Mit dem Tag des guten Lebens verfolgen wir eine ganze Reihe an Zielen – weil ja auch die Krisen, in denen unsere Gesellschaft steckt, alle verbunden sind. Wir wollen Menschen an bürgerschaftliches Engagement heranführen, wir wollen Netzwerke in den Stadtvierteln sichtbar machen und stärken, wir setzen uns für eine Mobilitäts- und Ernährungswende sowie für solidarischen, fairen Konsum ein. All das machen wir nicht nur am Tag des guten Lebens und auch nicht alleine.

Hat der Tag des guten Lebens schon Schule gemacht?

Wirkliche Tage des guten Lebens hat es bisher nur in Köln gegeben. Wir sind aber in Kontakt mit Initiativen aus ganz Deutschland, die ähnliche Ziele verfolgen und bieten am Samstag vor dem Tag des guten Lebens auch einen „Transfer-Workshop“ an. Es nehmen Menschen aus Bochum, Berlin, Main, Fürth und Wuppertal teil. Zudem beteiligen wir uns an einem deutschlandweiten Netzwerk.

Was sind in diesem Jahr die aus eurer Sicht zentralen Programmpunkte?

Zentral ist für mich erstmal die Erfahrung an sich – der Freiraum und die leeren Straßen, zum anderen das vielfältige Miteinander überall, das man entdecken kann, wenn man sich auf den Tag und seine Dynamik einlässt. Neu sind dieses Jahr unsere „Kulturflecken“, wo man den öffentlichen Raum nochmal ganz anders erleben kann, auch über Installationen und Performances. Ansonsten hat ja jeder seine persönlichen Highlights – ich freue mich auf die Wanderbaumallee, auf Mitmaten [„Wir, eine Gruppe von Argentiniern, teilen ein bisschen was von unserer Mate Kultur“, Anm. d. Red.] und auf die silent disco zum Abschluss.

Was passiert derzeit in Ehrenfeld und wie beurteilst du dort die aktuellen CityLeaks-Aktionen?

Der Druck im Immobilienmarkt ist krass gestiegen – wie man an Neubauten für 6000 Euro pro m² sieht, die dann mit dem bunt-dynamischen Image des Stadtteils vermarktet werden. Gentrifizierung passiert ja nicht mit einem Knall, sondern über viele Jahrzehnte – über Neuvermietung, Sanierung etc. Für CityLeaks gilt das gleiche Paradox wie vielleicht auch für uns als Tag des guten Lebens: Wir setzen uns für den Stadtteil ein und sind damit ein Teil des Aufwertungsprozesses. Natürlich thematisieren wir beide Vertreibung und Verdrängung, sind aber sowohl Antreiber als Betroffene, wir wohnen ja auch irgendwo und man verdient woanders deutlich besser als in kreativ-weltverbessernden Projekten. Aus der Dynamik kommt man nur schwer raus. Großen Respekt habe ich zum Beispiel vor dem Mode Kollektiv, die mit ihrem Laden ins Görlinger-Zentrum in Bocklemünd gezogen sind. 

Ist ein gutes Leben im schlechten möglich?

Es bringt nichts, sich dauernd schuldig zu fühlen. Sich gemeinsam für eine bessere Welt einzusetzen und dabei das Leben zu genießen, bei allen schwierigen Abwägungen, die es da zu machen gibt, das ist für mich ein gutes Leben. Dafür verzichte ich vielleicht dann auch darauf, zum Radfahren nach Mallorca zu fliegen, obwohl die Insel wirklich toll ist. Und genieße das Leben stattdessen hier.

Tag des guten Lebens 2019 | So 15.9. 11-20 Uhr | Ehrenfeld „hinterm Gürtel“ | www.tagdesgutenlebens.de

Interview: Jan Schliecker

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