Im Kampf gegen Rechtsextremismus und -terrorismus fallen die Erfolge des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) sowie der 16 Landesbehörden, gelinde gesagt, bescheiden aus. Im Gegenteil sogar, das Verbotsverfahren gegen die faschistische NPD scheiterte 2003 daran, dass ein Großteil der Führungskader der Partei sogenannte Vertrauenspersonen (VP oder auch V-Leute) des Verfassungsschutzes waren. Das Bundesverfassungsgericht, das über den Verbotsantrag zu entscheiden hatte, konnte in dem Verfahren keinen Unterschied mehr ausmachen zwischen einer „echten“ und einer vom Verfassungsschutz unterwanderten NPD. Was die Karlsruher Richter besonders erboste: V-Leute hatten als Funktionäre der Partei viele jener belastenden Belege „produziert“, die zur Begründung eines Verbots herangezogen werden sollten. Statt einer rassistischen und neofaschistischen Partei den Todesstoß zu versetzten, erwies sich die Beobachtung für die NPD als Lebensversicherung.
Nah am rechten Terror
Auch das rechtsextreme Terror-Trio des NSU, Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, war von Mitarbeitern des Verfassungsschutzes geradezu „fürsorglich belagert“. Andreas Temme, ein regulärer Mitarbeiter beim Verfassungsschutz in Hessen war bei der Ermordung des letzten NSU-Opfers Halit Yozgat im April 2006 in Kassel sogar am Tatort. Nach der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 hatten Verfassungsschutzmitarbeiter nichts besseres zu tun, als zahlreiche Akten zu vernichten, um so Spuren der Nähe von Verfassungsschutzmitarbeitern zum NSU zu beseitigen. So wurde es jedenfalls von Untersuchungsausschüssen auf Bundes- und Länderebene festgestellt.
Intensiv und engagiert kümmert sich der Verfassungsschutz aber schon immer um vermeintliche oder tatsächliche Umtriebe in der linken Szene. So beobachteten zwölf Landesämter und das Kölner Bundesamt lange Zeit die Linkspartei, darunter den damaligen Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Gregor Gysi, und die Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. Die Ämter konnten jedoch nie schlüssig erklären, warum Abgeordnete der Linken eine drohende Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellen sollten.
Gegen linke Politiker
Die Unfähigkeit, Bedrohungen von rechts so ernst zu nehmen wie von links, erklärt sich aus der Geschichte des Verfassungsschutzes. Seit seiner Gründung verstanden sich die Verfassungshüter als „Soldaten im Kalten Krieg“. Aus Sicht der postfaschistischen (nicht antifaschistischen!) BRD saß der Feind links. Kaum war der Nationalsozialismus und mit ihm die Geheime Staatspolizei (Gestapo) mit Kriegsende zerschlagen, ertönte 1948 schon der Ruf nach neuen Geheimdienststrukturen. 1950 wurde unter der Regie der Briten die sogenannte Dienststelle Köln gegründet, die noch im Laufe des Jahres in Bundesamt für Verfassungsschutz umbenannt wurde. Anders als die Amerikaner, die im Kampf gegen den „Weltkommunismus“ keine Scheu vor hochrangigem NS-Personal hatten, wenn es über brauchbare Geheimdiensterfahrungen verfügte, waren die Briten penibler. Die von Konrad Adenauer vorgeschlagenen sieben Kandidaten für den Posten des BfV-Präsidenten, wurden wegen NS-Verstrickungen allesamt abgelehnt. Gegen den Willen des Bundeskanzlers setzten sie im November 1951 Otto John durch, eine Randfigur des Attentatsversuchs auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944. Johns Stellvertreter wurde allerdings Albert Radtke, ein ehemaliger Nationalsozialist. Der war nicht nur an Juden-Deportationen beteiligt, sondern suchte auch in leitender Position nach den Verschwörern des 20. Juli.
WER BEWACHT DIE WÄCHTER? - Aktiv im Thema
digitalcourage.de | Der Verein Digitalcourage setzt sich ein Informationsfreiheit und Datenschutz und diskutiert u.a. staatliche Überwachung und Vorratsdatenspeicherung.
bpb.de/kurz-knapp/taegliche-dosis-politik/522238/verfassungsschutzbericht-des-bfv | Die Bundeszentraler für politische Bildung fasst wesentliche Ergebnisse des aktuellen Verfassungsschutzberichtes zusammen.
idz-jena.de/pubdet/wsd6-5 | Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) informiert unter dem Titel „Verdrängte Vergangenheit“ kritisch über den Umgang des Verfassungsschutzes mit rechtem Terror in den 70er und 80er Jahren.
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Wer die Demokratie gefährdet
Intro – Wer bewacht die Wächter?
„Der Verfassungsschutz betreibt ideologische Gesinnungskontrolle“
Teil 1: Interview – Rolf Gössner über politische Tendenzen des Verfassungsschutzes
Politischen Streit zulassen
Teil 1: Lokale Initiativen – Das Kölner Grundrechtekomitee und der Verfassungsschutz
Wessen Freund und Helfer?
Teil 2: Leitartikel – Viele Menschen misstrauen der Polizei – aus guten Gründen!
„Polizeibeamte kommunizieren in der Regel in einem Herrschaftskontext“
Teil 2: Interview – Kriminologe Rafael Behr über die kritische Aufarbeitung von Polizeiarbeit
Vertrauen in die Polizei
Teil 2: Lokale Initiativen – Projekt EQAL erforscht das Verhältnis von Stadtgesellschaft und Polizei
Generalverdacht
Teil 3: Leitartikel – Die Bundeswehr und ihr demokratisches Fundament
„Man muss gesetzliche Möglichkeiten schaffen, mit Extremisten umzugehen“
Teil 3: Interview – Militärexperte Thomas Wiegold über Aufgaben und Kontrolle der Bundeswehr
Die Waffen nieder
Teil 3: Lokale Initiativen – Der Landesverband Nordrhein-Westfalen der Deutschen Friedensgesellschaft
Menschenrecht gegen Polizeikontrolle
Die Allianz gegen Racial Profiling – Europa-Vorbild: Schweiz
Der Beverly Hüls Cop
Warum Gewaltenteilung, wenn es nur eine Gewalt braucht? – Glosse
Rassismus kostet Wohlstand
Teil 1: Leitartikel – Die Bundesrepublik braucht mehr statt weniger Zuwanderung
Schulenbremse
Teil 2: Leitartikel – Was die Krise des Bildungssystems mit Migration zu tun hat
Zum Schlafen und Essen verdammt
Teil 3: Leitartikel – Deutschlands restriktiver Umgang mit ausländischen Arbeitskräften schadet dem Land
Aus Alt mach Neu
Teil 1: Leitartikel – (Pop-)Kultur als Spiel mit Vergangenheit und Gegenwart
Nostalgie ist kein Zukunftskonzept
Teil 2: Leitartikel – Die Politik Ludwig Erhards taugt nicht, um gegenwärtige Krisen zu bewältigen
Glücklich erinnert
Teil 3: Leitartikel – Wir brauchen Erinnerungen, um gut zu leben und gut zusammenzuleben
Es sind bloß Spiele
Teil 1: Leitartikel – Videospiele können überwältigen. Wir sind ihnen aber nicht ausgeliefert.
Werben fürs Sterben
Teil 2: Leitartikel – Zum Deal zwischen Borussia Dortmund und Rheinmetall
Das Spiel mit der Metapher
Teil 3: Leitartikel – Was uns Brettspiele übers Leben verraten
Demokratischer Bettvorleger
Teil 1: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
Europäische Verheißung
Teil 2: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 3: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.
Friede den Ozeanen
Teil 1: Leitartikel – Meeresschutz vor dem Durchbruch?
Vom Mythos zur Mülldeponie
Teil 2: Leitartikel – Wie der Mensch das Meer unterwarf