choices: Herr Wiegold, wenn die Bundeswehr tatsächlich unzureichend ausgerüstet ist, ist das dann eine Vernachlässigung der Fürsorgepflicht gegenüber den Streitkräften?
Thomas Wiegold: Ich will jetzt gar nicht in diese politische Bewertung einsteigen. Ich würde mich mal anders der Frage nähern. Die Bundeswehr ist in den vergangenen 20, 30 Jahren umgebaut worden zu Streitkräften, die optimiert waren für Einsätze wie zum Beispiel in Afghanistan. Soldatinnen und Soldaten wussten in den vergangenen Jahrzehnten, sie werden irgendwann, in einem halben Jahr, in einem oder in zwei Jahren für ein paar Monate nach Afghanistan gehen. Darauf war alles ausgerichtet, die Personalplanung, die Materialplanung. Was wir jetzt aber haben, ist die Anforderung, dass Streitkräfte permanent einsatzbereit sind, dass sie wirklich bei einer Bedrohung reagieren können. Davon ist die Bundeswehr weit entfernt. Jetzt noch einmal nicht politisch bewertet, sondern einfach sachlich. Sie ist auf andere Zwecke optimiert worden, umgebaut worden und das wird jetzt wieder zurückgebaut.
„Jetzt haben wir die Anforderung, dass Streitkräfte permanent einsatzbereit sind“
Sollte es wieder eine Wehrpflicht geben?
Ich halte die Wehrpflicht nicht für einen kurzfristigen Ausweg, wie viele glauben. Unter anderem deswegen, weil die Bundeswehr, die den ganzen Apparat, der zu einer solchen Wehrpflicht gehört, ebenfalls abgeschafft hat – Ausbildung, Unterkünfte, Material. Die Bundeswehr ist nicht darauf eingestellt. Abgesehen davon ist die grundsätzliche gesellschaftliche und politische Debatte, die damit zusammenhängt, in den vergangenen Jahren nicht geführt worden. Die Frage ist: Kann es dabei bleiben, wenn das Grundgesetz sagt, Frauen dürfen nicht zum Kriegsdienst eingezogen werden, eine Wehrpflicht nur für Männer? Ist das noch zeitgemäß, überhaupt machbar? Wie sieht das aus mit anderen gesellschaftlichen Verpflichtungen? Also, die Forderung nach Wehrpflicht, teilweise auch nach Dienstpflicht, die wird zwar schnell gestellt, aber schaut man sich die Einzelheiten an, dann wird es doch recht schmallippig und still. Die Diskussion will keiner führen.
Ihr Blog begleitet die Streitkräfte – so beschreiben Sie es – mit „kritischer Solidarität“. Wo endet diese Solidarität?
Ich glaube, der Ausdruck kritische Solidarität wird da manchmal etwas missverstanden. Ich gehe ja nicht mit dem Ansatz heran, dass Streitkräfte per se schlecht sind und die Nato zerschlagen werden sollte. Sondern ich sage, dieser Staat hat sich ganz bewusst dafür entschieden, Streitkräfte unter demokratischer Kontrolle aufzustellen. Das ist einfach eine Prämisse, von der ich ausgehe. Da hilft auch ein Blick ins Grundgesetz, wie das passiert – da kann man durchaus kritische Anmerkungen haben. Zu diesen kritischen Anmerkungen gehört natürlich, wenn einzelne Soldatinnen und Soldaten aus dem Rechtsstaat, den Vorstellungen des Grundgesetzes, ausbrechen. Gerade, wenn man Menschen Waffen in die Hand gibt, muss man sich darauf verlassen können, dass sie zu unserer Rechtsordnung stehen, nicht etwa, dass sie schießen lernen wollen, um eben diesen Staat abzuschaffen. Da gibt es ja auch aktuell einen Gesetzentwurf, demnächst im Bundestag. Es geht darum, erkannte Extremisten in den Streitkräften schneller rauswerfen zu können. Denn man muss eines sehen: Soldaten sind zwar Soldaten, aber sie sind eigentlich ähnlich wie Beamte relativ schwer aus dem Dienst zu entfernen, solange sie nicht silberne Löffel klauen oder dergleichen. Deswegen muss man erst recht hinsehen und die gesetzlichen Möglichkeiten schaffen, mit Extremisten umzugehen.
„Die Forderung, ein General müsse Verteidigungsminister werden, halte ich für unsinnig“
Die Entscheidung eines Verteidigungsminister kann Leben unmittelbar gefährden. Braucht es mehr Regularien, um Fehlentscheidungen vorzubeugen?
Dass Politiker Fehlentscheidungen treffen mit fatalen Auswirkungen, das gab es immer, das wird es immer geben – auch unabhängig von den Bereichen: Wenn der Gesundheitsminister falsche Entscheidungen trifft, können Menschen sterben, wenn der Verkehrsminister falsche Entscheidungen trifft. Insofern nein. Die Frage ist immer, wie viel fachliche Beratung von Leuten, die sich im Militär auskennen, setzt sich durch. Dass es eine politische zivile Kontrolle geben muss, das ist, glaube ich, in einem demokratischen Rechtsstaat unbestritten. Und die Forderung, es müsste ein ehemaliger General Verteidigungsminister werden, die halte ich für ziemlich unsinnig. Es gilt wie in allen Bereichen, vom Minister muss erwartet werden, dass er sich in dieses Gebiet einarbeitet, dass er zwar grundsätzliche Entscheidungen trifft, aber immer unter fachlicher Beratung.
WER BEWACHT DIE WÄCHTER? - Aktiv im Thema
digitalcourage.de | Der Verein Digitalcourage setzt sich ein Informationsfreiheit und Datenschutz und diskutiert u.a. staatliche Überwachung und Vorratsdatenspeicherung.
bpb.de/kurz-knapp/taegliche-dosis-politik/522238/verfassungsschutzbericht-des-bfv | Die Bundeszentraler für politische Bildung fasst wesentliche Ergebnisse des aktuellen Verfassungsschutzberichtes zusammen.
idz-jena.de/pubdet/wsd6-5 | Das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) informiert unter dem Titel „Verdrängte Vergangenheit“ kritisch über den Umgang des Verfassungsschutzes mit rechtem Terror in den 70er und 80er Jahren.
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Wer die Demokratie gefährdet
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„Der Verfassungsschutz betreibt ideologische Gesinnungskontrolle“
Teil 1: Interview – Rolf Gössner über politische Tendenzen des Verfassungsschutzes
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Teil 1: Lokale Initiativen – Das Kölner Grundrechtekomitee und der Verfassungsschutz
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Teil 2: Leitartikel – Viele Menschen misstrauen der Polizei – aus guten Gründen!
„Polizeibeamte kommunizieren in der Regel in einem Herrschaftskontext“
Teil 2: Interview – Kriminologe Rafael Behr über die kritische Aufarbeitung von Polizeiarbeit
Vertrauen in die Polizei
Teil 2: Lokale Initiativen – Projekt EQAL erforscht das Verhältnis von Stadtgesellschaft und Polizei
Generalverdacht
Teil 3: Leitartikel – Die Bundeswehr und ihr demokratisches Fundament
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