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Wolfgang Rüter ist „Der Theatermacher“
Foto: Thilo Beu

„Mir sind schon einige Bruscons begegnet“

22. Dezember 2016

Sebastian Kreyer inszeniert Thomas Bernhards „Der Theatermacher“ am Theater Bonn – Premiere 01/17

Die Spielstätte: „das scheußlichste Loch“; die Gesellschaft: „ein durch und durch stumpfsinniger Staat bevölkert von durch und durch stumpfsinnigen Menschen“; die Ehefrau: „eine Schande für das Theater“. Der Staatsschauspieler Bruscon, der in Berlin den Faust und in Zürich den Mephisto gegeben hat, ist ein so menschenverachtender wie menschenliebender Misanthrop. Alles hat sich seinem Kunstwillen unterzuordnen, doch die Widerstände des Alltags wie Schweinegestank oder Notbeleuchtung sind enorm. Den vermeintlich genialischen „Theatermacher“ hat es am Ende seiner Karriere in das Dorf Utzbach verschlagen. Dort will er mit seiner Familie sein Stück „Das Rad der Geschichte“ aufführen. Thomas Bernhards Werk ist eine gewaltige Arie des Durchhaltens gegen alle absurden Hindernisse, so komisch wie tragisch. Ein Gespräch mit Regisseur Sebastian Kreyer, der mit dem Schauspieler Wolfgang Rüter seine Trilogie über gescheiterte Theaterkünstler beendet.

choices: Herr Kreyer, wieviel Selbstüberschätzung braucht man als Regisseur? Erkennen Sie sich in Bruscon wieder?
Sebastian Kreyer: Ganz pathetisch würde ich sagen: im Durchhaltewillen. Ich habe zuletzt in Hamburg inszeniert und bin nur von der Gästewohnung zum Theater und vom Theater zur Gästewohnung gegangen. Man ist in den Kokon der Produktion eingesponnen und lebt ausschließlich für diese Theaterwelt. Es kostet Kraft, den ganzen Betrieb durchzustehen, und ich kann mir vorstellen, dass das im Alter nicht leichter, sondern noch anstrengender wird. 

Nach „Der Entertainer“ und „Die Möwe“ inszenieren Sie jetzt Bernhards „Der Theatermacher“. Drei Stücke, in denen Theaterkünstler im Zentrum stehen. Absicht oder Zufall?

Sebastian Kreyer
Foto: Maurice Kohl

Sebastian Kreyer inszeniert zum dritten Mal am Theater Bonn. Er studierte Theaterwissenschaft, Philosophie und Soziologie in Leipzig und Berlin. Ab 2008 war er als Regieassistent am Schauspiel Köln tätig, wo er 2012 Tennessee Williams‘ „Die Glasmenagerie“ inszenierte und zum Festival Radikal Jung nach München eingeladen wurde. Seither arbeitet er als freier Regisseur.

Nachdem wir „Die Möwe“ mit der exaltierten Hauptfigur der Arkadina in Richtung „Sunset Boulevard“ zugespitzt hatten und uns mit dem „Entertainer“ dem Scheitern eines Alleinunterhalters zugewandt hatten, stellte sich die Frage, ob man sich nochmal mit einem Künstler und dessen Schwierigkeiten beschäftigt. Ich wollte gerne wieder mit Wolfgang Rüter zusammenarbeiten und habe nach einer Rolle für ihn gesucht. Den „Theatermacher“ fand ich da sehr passend und konnte mir schon beim Lesen vorstellen, wie Wolfgang das in seiner ganz speziellen Art spricht und spielt.

Wie unterscheidet sich Bruscon von den Hauptfiguren der anderen beiden Schauspieler-Stücke?
„Der Theatermacher“ ist zwar auch eine Familiengeschichte, aber Bruscon steht anders als die Hauptfiguren der anderen beiden Stücke noch extremer im Zentrum. Das Stück erscheint einem mitunter als großer Monolog, obwohl es hier noch andere Figuren gibt. Zudem lebt es von einer tieferen Form der Verzweiflung und ist auch sprachlich ganz anders gearbeitet als „Der Entertainer“ oder „Die Möwe“.

Was treibt Bruscon zu diesem endlosen Monolog?
Er wartet, während um ihn herum die Kneipe für die Aufführung hergerichtet wird. Sein Reden entspringt also einer realen Situation und hat in seiner Wut über die Provinz, über die Kunstfeindlichkeit dieses Ortes, in seinen andauernden Wiederholungen auch einen großen Witz. Gleichzeitig verbirgt sich dahinter auch die Scham, dass es zu mehr als einem Gastspiel in Utzbach nicht mehr reicht. Außerdem sind er und seine Frau krank, jeder Abend könnte der letzte sein. Insofern erinnert das Stück auch an Becketts „Endspiel“. Ein Anreden gegen den Tod, den eigenen, aber auch den seiner Frau.

Inwiefern scheitert Bruscon oder scheitert er vielleicht gar nicht?
Bruscon sagt, er habe es sich nie einfach gemacht und in seiner Kunst immer gegen Widerstände gekämpft. Dieses Sisyphoshafte macht das Scheitern unmöglich – zumindest wenn man es von außen betrachtet. Vermutlich hat Bruscon sich und seine Umwelt immer schon so traktiert wie an diesem Tag. Dieses Ringen des Schauspielers um den richtigen künstlerischen Ausdruck und die Versagensangst sind aber durchaus theatergenuin. Die Frage ist, ob er sich selbst als gescheitert begreift oder sich wirklich für ein Genie hält – das bleibt in der Schwebe. Allerdings wirkt das von ihm verfasste „Rad der Geschichte“ doch meist unfreiwillig komisch. Das macht die Figur dann auch wieder tragisch und rührt mich an. Doch all die Verzweiflung führt bei Bernhard nicht in die große Tragödie, sondern in die Tragikomödie. Das kommt mir entgegen, denn ich versuche in all meinen Arbeiten Humor immer auch als eine Art Überlebensstrategie zu behaupten.

Wie ambivalent ist die Beziehung des Künstlers zur Gesellschaft: Bruscons Ausfälle gegen die Geist- und Kulturlosigkeit seiner Mitmenschen sind kaum zu zählen.
Bruscon erscheint als klassischer Menschenfeind, dem jede Empathie fehlt. Gleichzeitig ist er einem in seinen Tiraden gegen Kunstfeinde, Provinzler und Nazis durchaus sympathisch. Und doch ist er natürlich eine narzisstische Persönlichkeit, die ein Leben im Elfenbeinturm führt. Er macht sich mit niemandem in der Gesellschaft gemein, sondern setzt sich mit seiner Einsamkeit und Unberechenbarkeit von ihr ab. Wahrscheinlich muss man sich als Künstler generell in eine gewisse Distanz zur Gesellschaft begeben, auch auf die Gefahr hin, sich dann nur noch im eigenen Kokon zu bewegen.

Bruscon unterwirft letztlich auch das Private, also das ganze Familienleben seinem Kunstwillen.
Die Familie wird tyrannisiert durch diesen Vater und sein Künstlerdasein. Bruscons Frau und seine Kinder sind auch Schauspieler, werden von ihm allerdings als „Schandfleck der Komödie“ bezeichnet. Nichtsdestotrotz gibt es auch Momente der Zärtlichkeit, bei denen man nie weiß, ob sie ernst gemeint sind oder ob Bruscon sie gegeneinander auszuspielen versucht. Und auch ihr Verhalten ihm gegenüber bleibt ambivalent. Mal scheint es Mitleid, mal Genugtuung über Bruscons Scheitern als Künstler zu sein.

Inwieweit ist Bruscon letztlich eine Kunstfigur?
Bruscon streift als Figur manchmal die Grenze hin zur Charge. Nichtsdestotrotz ist sie nicht allzu weit von der Realität entfernt, wenn man Regisseure im Theater belauscht. Da sind mir in meiner Assistentenzeit schon einige Bruscons begegnet und auch ich, wenn ich mich von außen betrachte, erkenne mich ein bisschen wieder. Allein das Ringen um das Notlicht, das ausgeschaltet werden soll, ist ein Klassiker bei jeder Beleuchtungsprobe und dürfte jedem im Theater bekannt vorkommen.

„Der Theatermacher“ | R: Sebastian Kreyer | 26.1.(P), 1., 10., 18.2. je 19.30 Uhr, 29.1. 18 Uhr | Theater Bonn | 0228 77 80 08

ACHTUNG: „Die angesetzte Premiere von Thomas Bernhards DER THEATERMACHER in den muss aus gesundheitlichen Gründen auf bisher nicht bestimmte Zeit verschoben werden.“ (Theater Bonn)

Interview: Hans-Christoph Zimmermann

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