Sie kamen als Gastarbeiter und blieben als Bürger. Deutschland ist nach dem Zweiten Weltkrieg immer schon ein Einwanderungsland gewesen, nur wollte das anfangs niemand wissen. Spätaussiedler und Heimkehrer mit deutschen Wurzeln kamen aus dem Osten, nach 1955 kamen fremde Arbeitskräfte dann eher aus dem Süden. Mit Italien schloss die Bundesrepublik Deutschland das erste Anwerbeabkommen für den eigenen wirtschaftlichen Aufschwung, aber es war auch der Zeitpunkt, an dem auch die deutsche Küche endlich bunter werden durfte. Pizza, Döner, Sushi, Oliven, Schafskäse, Sprossen. Vieles rauscht einem durch den Kopf, wenn man wie immer an Hermann Görings „Salonwagen Berlin 10 205“ vorbei zum Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eilt. Diesmal geht es in der Sonderausstellung eben um Deutschland als Einwanderungsland.
„Immer bunter“, so der stimmige Titel, der eigentlich nicht die veränderte Esskultur meint, sondern die Veränderungen im Umgang mit den Menschen, die zu uns kommen. Das Missverständnis begann schon in den 70ern, als viele der Gastarbeiter sich dafür entschieden, dauerhaft in Deutschland zu bleiben und ihre Familien nachzuholen. Ein paar Jahre zuvor war die Millionste Arbeitskraft noch am Bahnhof mit einem Moped belohnt worden. Das war mit der Ölkrise vorbei, die deutsche Fremdkörper-Kultur wurde geboren, die deutschen Arbeitsplätze schienen rar zu werden. „Deutschland ist kein Einwanderungsland!“ hörte man nun gebetsmühlenartig aus der Politik, andere schlugen bereits wieder scharfe braune Töne an.
Die Ausstellung zeigt dazu einen wundervollen Devotionalien-Querschnitt durch die Jahrzehnte, zwei Jahre lang trugen Jürgen Reichel und Ulrich Op de Hipt die rund 800 Exponate zusammen, der Besucher wird beim Schauen in Vitrinen von Dauer-Audiofiles verfolgt, man hört fast gleichzeitig Gesprächs- und Interviewfetzen, sieht Videos aus fünf Jahrzehnten, dazu Briefe, Fotos und Arbeitsverträge. Und natürlich immer wieder „Zwei kleine Italiener“ von Conny Froboess von 1962. Ziemlich eindrucksvoll gleich daneben die mechanische Fischfiletiermaschine, die Deutsche damals sehr ungern bedienten. Etwas weiter die türkische Protesthochzeitsanzeige von 1991, die kundtat, wie schwer es für Ausländer war, Räumlichkeiten für Feste zu mieten.
Knapp zwei Jahrzehnte weiter, steht der Islam selbst in Deutschland auf dem Prüfstand. Als Christian Wulff 2010 den Satz „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“ in die Welt warf, hatte die deutsche Islam-Phobie noch gar nicht begonnen, das Thema Migration noch keine solche beißende Schärfe. Aber es kamen auch nur ein Viertel der Asylsuchenden nach Deutschland. Am Ende stehen die aktuellen Zitate (2014) von Thomas de Maizière und Joachim Gauck, und die Erkenntnis, dass man die Formulare, die dort an den Wänden hängen, gar nicht mehr lesen mag. Dann lieber nochmal zurück zum dunkelblauen Ford Transit von Sabri Güler, mit dem der zwischen NRW und Ostanatolien pendelte.
„Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“ | bis 9.8. | Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn | www.hdg.de/bonn
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