Eine Erkenntnis der Ausstellung „Die Kathedrale“ ist, dass sich in diesen Bildern aus zwei Jahrhunderten erstaunlich wenig um die Höhe selbst oder den Blick aus dieser dreht. Jedoch handelt es sich bei diesen Sakralbauten bis zum 20. Jahrhundert um die höchsten Gebäude überhaupt, die uns noch heute durch ihre schiere Größe beeindrucken und unsere Winzigkeit demonstrieren, metaphysische Dimensionen vermitteln und Meisterwerke der Baukunst sind. Das Wallraf-Richartz-Museum zeigt dazu jetzt Gemälde, grafische Arbeiten und Fotografien von der Romantik bis heute, und zwar in Deutschland und Frankreich.
Erst spät, in Verbindung mit der neu erwachten Wertschätzung des Mittelalters und der gotischen Kunst, wurde die Kathedrale von der Kunst wieder „entdeckt“. Eine wichtige Rolle spielten dabei Schriftsteller: Goethe mit „Von deutscher Baukunst“ (1772) und in Frankreich Victor Hugo, der mit dem „Glöckner von Notre Dame“ (1831) zugleich auf den Verfall der Gotteshäuser aufmerksam machte. Hinzu kam in Frankreich 1824 die Krönung Karls X. in der Kathedrale von Reims, die den Blick auf das sakrale Bauwerk als Nationalsymbol lenkte. Die christlich spirituelle Dimension ist vor allem ein Anliegen der deutschen Romantik. Im Wallraf-Richartz-Museum ist sie mit Caspar David Friedrich und Carl Gustav Carus mit jeweils mehreren Gemälden vertreten. Der Sakralbau ist inmitten der Natur von außen gegeben, umfangen von Licht im Wechsel von Hell und Dunkel. – Vielleicht ist diese malerische Manifestation des Tageslichtes gar nicht so weit weg von seiner Präsenz bei den französischen Impressionisten? Dort geht es freilich um das Unmittelbare der Anschauung und die Folgen für die Malerei.
Die Impressionisten besitzen in der Ausstellung einen eigenen Raum. Claude Monet ist mit vier Ansichten seiner Serie der Kathedrale von Rouen vertreten, ebenso wie Alfred Sisley mit seinen zeitgleich entstandenen Gemälden der Kirche von Moret. Anhand dieser Meisterwerke wird die historische Leistung des Impressionismus anschaulich: einen Gegenstand zu verschiedenen Tages- und Jahreszeiten zu erfassen, wobei er jedes Mal anders wirkt. Die Gemälde zur Kathedrale, die in verschiedenen Temperierungen erfasst ist, demonstrieren jedoch auch, was für ein toller Maler Monet war. Mit der Kathedrale von Rouen – für drei Jahre das höchste Gebäude der Welt, ehe es um 6 m vom Kölner Dom abgelöst wurde – trug Monet noch zur damaligen Diskussion um das Verhältnis von Staat und Kirche bei.
Viel später wird das Serielle erneut zu einem zentralen Verfahren einer Kunstströmung: bei der Pop Art. Sie ist ebenfalls mit Folgen mit Kathedralen (die natürlich auch Anspielungen auf Monet sind) vertreten, und zwar bei Roy Lichtenstein und Andy Warhol. Die Pop Art-Künstler verweisen noch auf die inflationäre Vervielfältigung hin zum Populären. Warhol steigert das Attraktive durch Glimmer, der wie ein ironischer Kommentar auf die Lichtwirkung und die sakrale Überhöhung wirkt. Sein Motiv ist der Kölner Dom. Christo wollte diesen mal verpacken: Auch dazu ist eine Arbeit ausgestellt.
Kontrapunktisch dazu weist die Ausstellung auf den Beschuss der Krönungskirche von Reims durch die deutsche Artillerie 1914 – ein Thema wiederum der französischen Kunst. Die Kathedrale wird da zum Ausdruck für Nationalstolz und später auch für Versöhnung. So wurde mit Imi Knoebel vor einigen Jahren ein deutscher Künstler beauftragt, sechs Glasfenster zu gestalten. Neben Knoebels Entwürfen sind in der zeitgenössischen Kunst monumentale Fotografien von Andreas Gursky oder Roland Fischer zu sehen, die weitere Bedeutungsebenen aufwerfen. Vielleicht kann man diese Ausstellung überhaupt so sehen: Sie führt konzentriert durch die letzten 200 Jahre Kunst mit einer beiläufigen Hommage an den Kölner Dom, den man aus dem obersten Stockwerk sehen kann.
„Die Kathedrale“ | bis 18.1.15 | Wallraf-Richartz-Museum | 22 12 65 04
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