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Bühnenbild zu „Chambre d‘amis“
Foto: Theresa Hupp

„Freundschaft ist kein Wolkenkuckucksheim“

30. Oktober 2014

Für „Chambre d’amis“ kollaboriert Futur 3 mit der schweizerischen Compagnie Selma 95 – Premiere 11/14

Die Freundschaft erlebt seit den 90er Jahren eine Renaissance. Nicht, dass sie zuvor völlig verschwunden gewesen wäre. Doch seit etwa 20 Jahren häufen sich die philosophischen und soziologischen Betrachtungen zu dem Phänomen. Nicht nur, weil sich mit den sozialen Netzwerken eine neue Dimension eröffnet. Die neue Wertschätzung der Freundschaft hat offenbar auch mit der vorangetriebenen Individualisierung und der Aushöhlung des Wohlfahrtsstaates zu tun. Woher soll die Solidarität kommen, wenn jeder nur auf sich zählt? Wer sorgt sich um mich, wenn die Scheidungsrate so hoch bleibt? Oder ist die Freundschaft eine Reaktion auf das Laissez-faire des ironischen Zeitalters der Postmoderne? Und was ist überhaupt Freundschaft? Die Gruppe Futur 3 widmet sich zusammen mit der Compagnie Selma 95 in der neuen Produktion „Chambre d’amis“ nach einem Stück von Antoine Jaccoud dem Phänomen der Freundschaft. Ein Gespräch mit dem Schauspieler und Regisseur Stefan H. Kraft.

choices: Stefan Kraft, was ist ein Chambre d’amis?
Stefan Kraft:
Ein Chambre d’amis ist etwas, wofür es im Deutschen kein Äquivalent gibt. Wörtlich übersetzt ist es ein Zimmer für Freunde in der eigenen Wohnung. Im Deutschen sprechen wir von einem Gästezimmer, aber „Gästezimmer“ in Pensionen werden eben auch vermietet. Im Französischen leistet man sich zumindest gedanklich den Luxus, für Freunde ein extra Zimmer in der Wohnung zu haben.

Es gibt ein Chanson von Benjamin Biolay über das Chambre d’amis, da klingt das ziemlich abgefuckt. Da ist von der üblen Einrichtung die Rede, vom Wachliegen, von Einsamkeit. Was ist das Besondere am Chambre d’amis?

Stefan H. Kraft
Foto: privat
Stefan H. Kraft stammt aus Freiburg im Breisgau und studierte in Köln Germanistik und Romanistik, bevor er in Ulm und der Schweiz eine Theaterausbildung absolviert hat. Seit 1992 arbeitet er als Schauspieler und Theaterpädagoge und gründete 2003 zusammen mit André Erlen und Klaus Maria Zehe die Gruppe Futur 3.

Die Gästezimmer, die ich kenne, oszillieren zwischen dem, was Benjamin Biolay beschreibt, aber auch sehr liebevoll ausgestatteten Zimmern, bei denen sich die Leute richtig ins Zeug legen. Manchmal landen da natürlich auch Möbeln, die sonst keine Verwendung mehr finden.

Wie ist das in dem Stück von Antoine Jaccoud?
Bei Antoine Jaccoud ist es das deutsche Paar, das einen besonderen Kult um dieses Zimmer betreibt. Sie haben mit einem irrsinnigen Aufwand das Chambre d’amis fertiggestellt, um darin ein Paar aus der französischsprachigen Schweiz zu beherbergen und damit auch die Freundschaft zu feiern.

Freundschaft ist das zentrale Thema des neuen Stücks. Eigentlich ist das ja eher ein Thema für den Film. Was hat euch daran interessiert, Freundschaft auf der Bühne zu verhandeln?
Gerade, weil es im Theater noch nicht aufbereitet wurde. Antoine Jaccoud hat deshalb auch ziemlich gekämpft und die Figuren so lang vor sich hergetrieben, bis daraus ein Theaterthema geworden ist. Die zwei Paare versuchen, ein gelungenes Leben zu führen und schauen, wofür sie eigentlich Freunde brauche. Da tauchen ganz verschiedene Konzepte auf. Der eine ist sehr unabhängig und fast solipsistisch oder auch anarchistisch unterwegs. Zwei verbindet eine langjährige Freundschaft, die sich aber irgendwann in eine Projektionsfläche verwandelt hat. Wenn die beiden sich wiedertreffen, finden sie sich in diesem Bild nicht wieder. Und die vierte Figur ist total verloren, weil sie nur will, dass alle es schön haben miteinander. Es sind unterschiedliche Vorstellungen, wie man Freundschaften leben kann. Antoine Jaccoud dekliniert damit zugleich auch die misslingenden Versuche zur Kommunikation und eine postmoderne Verlorenheit durch.

Was bedeutet Freundschaft für dich?
Mir fallen nur ziemlich abgedroschene Begriff ein. Eine Form von Seelenverwandtschaft, ein gemeinsames Wohlgefühl, man fühlt sich nicht unter Druck. Ich habe einen Freund aus der Grundschule, den ich nicht oft sehe, weil er in Frankreich wohnt. Wenn wir uns treffen, quatschen wir manchmal sehr viel, manchmal schweigen wir und gehen einfach spazieren. Während die Liebesbeziehung dem Alltag unterworfen ist, bleibt die Freundschaft vom alltäglichen Generve ‚unbeschmutzt‘. Sie kann vielleicht anders hoch schwingen als eine Liebesbeziehung. Mich rührt nach wie vor, wie Schiller in seiner Ballade „Die Bürgschaft“ Freundschaft beschreibt. Eine echte Freundschaft muss aber eigentlich immer auch ein bisschen in Gefahr sein, sie ist kein Wolkenkuckucksheim.

Eine Ehe hat Regeln, gibt es Normen in der Freundschaft?
Wenn man eine Freundschaft auf Distanz unterhält, muss man etwas tun. Wenn sie einem wichtig ist, investiert man mehr. Jeder kennt dabei die Klage, dass der eine immer wieder anruft, während der andere sich nicht von sich aus meldet. Freundschaft ist auch Arbeit, man muss sich drum kümmern. Zur Freundschaft gehört auch Wahrhaftigkeit, während die Liebesbeziehung von kleinen Geheimnissen lebt. Jede Freundschaft hat außerdem einen Zusatznutzen, sie ist beruflich praktisch, sie inspiriert mich, stärkt mein soziales Netz.

Ist „Chambre d’amis“ ein durchgeschriebenes Stück oder gibt es auch diskursive Teile?
Es ist eine Textfläche ohne Aufteilung in Figuren. Manchmal ist offensichtlich, wer spricht, manche Stellen sind völlig frei. Beim ersten Lesen erinnerte mich das an Elfriede Jelinek plus etwas, das ich bei ihr regelmäßig vermisse. Beim Proben haben wir dann gemerkt, dass in dem misslingenden Versuch der Figuren, zu kommunizieren, auch eine Menge Loriot mitschwingt. Jaccoud hat auch noch eine Scrabble-Szene wie in „Ödipussi“ eingebaut. Der Abend hat also sehr viel Humor.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Antoine Jaccoud und der Compagnie Selma 95?
Das Stück hat eine autobiographische Grundlage. Mit Francoise Boillat von Selma 95 bin ich seit 20 Jahren befreundet, wir haben viel zusammen gemacht. Antoine Jaccoud wiederum kenne ich aus der Zeit, als ich in der Schweiz gelebt habe. Wir haben in Köln sein Stück „Ich bin der Mann von Lolo“ gespielt, letztes Jahr war die Gruppe bei „Globalize:Cologne“ zu Gast. Es ging uns gemeinsam darum, ein zweisprachiges Stück mit einem französischsprachigen und einem deutschen Paar zu machen.Der Zuschauer bekommt auch viel Französisch um die Ohren gehauen, das er wahrscheinlich genauso wenig versteht wie die deutschen Figuren auf der Bühne, die aber auch darum ringen, alles zu verstehen – was zu zahlreichen komischen Missverständnissen führt.

Welche Rolle spielt Freundschaft im kreativen Bereich?
Für mich spielt das eine riesige Rolle. Ich kann jemanden als Künstler noch so interessant finden, wenn er mir menschlich nicht nahe ist, würde ich nicht mit ihm arbeiten. Bei Futur 3 sind wir alte dicke Freunde. Ich habe immer wieder mit Regisseuren gearbeitet, von denen ich dachte, das sind Arschlöcher, und dann war’s das auch. Das Leben ist zu kurz, um sich mit Arschlöchern zu umgeben.

Ist diese Freundschaft als Basis künstlerischer Arbeit ein Spezifikum der Freien Szene?
Im Stadttheater ist das sicherlich ganz anders. Die Arbeitsbedingungen in der freien Szene sind so, dass man auch noch einen anderen Nutzen für sich selbst daraus ziehen muss. Wenn man so viel Zeit miteinander verbringt und dafür auch noch schlecht bezahlt wird, dann will man sie wenigstens mit guten Leuten verbringen.

In langjährigen Freundschaften sind die Überraschungen rar. Braucht man aber in der Kunst nicht genau diese Anregungen?
Freundschaft kann künstlerisch auch ein Hemmschuh werden, wenn es zu gemütlich wird. Wir sind uns bei Futur 3 dieses Problems bewusst. Sich zu fordern als Freunde, ist schwierig. André Erlen ist allerdings künstlerisch ganz anders unterwegs als ich. Man muss also versuchen, sich vom anderen provozieren zu lassen, dann passiert auch etwas.

„Chambre d‘amis“| Regie:Alice Buddeberg | 21.11.-25.11. 20 Uhr | Studiobühne Köln | 0221 470 45 13

INTERVIEW: HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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