Der französische Tierfilmer Laurent Charbonnier zeichnete 2001 bei „Nomaden der Lüfte“ für die Bildgestaltung verantwortlich, 2008 widmete er sich in „Animals in Love“ dem Sexualleben von Giraffe, Löwe, Frosch. Beide Filme waren bereits nur dezent kommentiert. Charbonnier setzt auf sinnliche Vermittlung. Für „Die Eiche – Mein Zuhause“ (Cinedom, Cinenova, Cineplex, Odeon, Weisshaus) holt er sich nun den Produzenten Michel Seydoux („Cyrano de Bergerac“, „Birnenkuchen mit Lavendel“) mit ins Boot, der damit zugleich sein Regiedebüt vorlegt. Gemeinsam schliff man an der kommentarlosen Doku, verlegte die Narration auf die Montage und trieb das Format zur Perfektion. Titelheldin dieser kleinen Filmperle ist eine Stieleiche, die 1810 keimte und heute erhaben an einem Waldstück mit Seeblick thront. Nichts anderes macht sie hier ein Jahr lang, gebannt auf 80 Filmminuten: thronen. Rasch richtet sich Aufmerksamkeit auf die vermeintlich agileren Lebewesen, die diesen mächtigen Baum bevölkern: Tiere, die ihr Tageswerk verrichten, des Tags, in der Nacht – irgendwer ist immer wach. Der Dokumentarfilm folgt den Be- und Anwohnern klassisch durch die vier Jahreszeiten. Wiederkehrende Konstanten sind Baumbewohner wie Eichelhäher, Eichelbohrer und Eichhörnchen. Drumherum Wildschwein, Ameise und Wasservogel. Das Treiben wird begleitet vom Knarzen, Knacken, Zirpen, vom Rufen, Keifen, Grunzen. Vom Rascheln der Blätter, vom Windspiel. Und man ist durchweg dankbar, dass hier keine Erzählstimme reingrätscht. Die Komponistin Cyrille Aufort untermalt das Geschehen unaufdringlich mit inspirierten Klängen. Ebenso anmutig oder augenzwinkernd kommentiert mal eine Dean Martin-Schnulze, ein Chanson oder Joseph Garlands „In the Mood“ das Geschehen. „Die Eiche – Mein Zuhause“ bleibt ein familiengerechtes Erlebnis, eine Lehrstunde für die Sinne. Und dennoch auch fachlich lehrreich: Lernen durch Erleben, Lernen durch Beobachten.
Kaum zu glauben, dass es außer einem für eine Can-CD/DVD-Box realisierten Film von 1999 keine abendfüllende Dokumentation über Kölns bedeutendste Rockband gibt. Nun gibt es endlich einen Kinofilm, der über die persönliche Schaffensgeschichte des einzig lebenden Mitglieds Irmin Schmidt an die Musik der bis heute international einflussreichen Krautrocker Can erinnert. Zwischen viel tollem Archivmaterial haben die Filmemacher:innen Tessa Knapp und Michael P. Aust eigens geführte Interviews mit Irmin Schmid und Wegbegleiter:innen über seinen Werdegang als Pianist, Komponist und Dirigent in den Film montiert. Für ausgewiesene Can-Aficionados bietet „Can and Me“ (Filmhaus, Odeon, Bonner Kinemathek) schöne Erinnerungen und sicherlich auch einige Neuigkeiten über den musikalischen Weg des inzwischen 85-jährigen, immer noch aktiven, Musikers nach der Auflösung der Band.
Fast eine Neuauflage des Medea-Mythos. Die antike Kindsmörderin hatte eigentlich in bester Absicht gehandelt, dann aber ging etwas schief. In der Jetztzeit hat die junge Laurence ein Kind bekommen und, als es 15 Monate alt war, dem Meer übergeben. Jetzt steht die Senegalesin vor Gericht. Alice Diop inszeniert in ihrem Spielfilmdebüt „Saint Omer“ (Filmpalette, Odeon, Bonner Kinemathek, Zoom Brühl) einen authentischen Fall, der Titel ist der nordfranzösische Ort der Verhandlung. Sie wäre verzaubert, verhext worden, sagt die Angeklagte in Anspielung auf afrikanische Rituale immer wieder. Dem Prozess wohnt Rama bei, die einen Medea-Roman schreiben will. Was als Recherche beginnt, greift auf geheimnisvolle Weise auf ihren Körper über. Claire Mathon schließlich, Trägerin des Marburger Kamerapreises, bringt die Sinnlichkeit des Unerklärbaren zum Vorschein.
Der kleine Sammy (Gabriel LaBelle) geht in den frühen 1950er Jahren mit seinen Eltern (Michelle Williams, Paul Dano) in den semi-dokumentarischen Zirkusfilm „Die größte Schau der Welt“. Das Eisenbahnunglück im Film verängstigt ihn sehr. Das Trauma bearbeitet er mit einer Reinszenierung – immer wieder, bis er die Szene mit einer Kamera bannt. Die Macht des Kinos ist in dem kleinen Sammy entfesselt. Steven Spielberg erzählt in „Die Fabelmans“ (Cinedom, Cinenova, Cineplex, Residenz, Rex, UCI, Weisshaus, OmU im Cinenova, Metropolis und Weisshaus, OV im Cineplex) von der Initiierung seiner eigenen Karriere als Regisseur, von ersten Versuchen aus dem Kinderzimmer bis hin zu bereits aufwändigen Schülerfilmen mit bis zu 40 Minuten Länge. Rund um seine frühe Entdeckung und Faszination für das Medium erzählt Spielberg auch seine Familiengeschichte mit Freud und Leid bis zur Trennung der Eltern. Eine nostalgische, aber nicht kitschige Erinnerung.
Außerdem neu in den Kinos: Óskar Thór Axelssons Island-Krimi „Gletschergrab“ (Cinedom, Cineplex, Rex, UCI), Matt Bettinelli-Olpins und Tyler Gilletts Ghostface-Sequel „Scream 6“ (Autokino Porz, Cinedom, Cineplex, Rex, UCI) und Scott Becks und Bryan Woods' etwas anderes Erden-Abenteuer „65“ (Cinedom, Cineplex, Rex, UCI, OV im Metropolis).
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