Unter Kontrolle
USA/Deutschland 2008, Laufzeit: 97 Min., FSK 18
Regie: Jennifer Chambers Lynch
Darsteller: Pell James, Julia Ormond, Bill Pullman, French Stewart, Hugh Dillon, Ryan Simpkins, Gill Gayle, Kent Harper
Psychologie des Kindes als das ultimative Wesen
Typewriter (7), 06.08.2008
Vorab sei schon gesagt, - und das, ohne etwas vorweg nehmen zu wollen - , dass die Beschreibung der Handlung oder auch der dargestellte Plot missverständlich formuliert sind. Hier eine entsprechende "Falschaussage":
Als die FBI-Agenten Elizabeth Anderson (Julia Ormond) und Sam Hallaway (Bill Pullman) in Captain Billings Büro eintreffen, müssen sie bei ihren Ermittlungen zu einer brutalen Mordserie drei widersprüchliche Storys gegeneinander abwägen.
Ein fanatischer Cop, eine zugedröhnte Kokserin und ein achtjähriges Mädchen waren Zeugen eines Massakers auf der Landstraße. Doch als die Beamten nachhaken, entdecken sie immer mehr Details, die nicht zusammenpassen wollen: Offenbar haben die Zeugen ihre Falschaussagen sorgfältig einstudiert - und die Suche nach "der Wahrheit" birgt ein hohes Risiko ?
>>> Also, was stimmt daran nicht?
In erster Linie widersprechen sich die Aussagen der oben genannten Zeugen nicht wirklich. Der Großteil der Schilderungen sind Rahmenerlebnisse, die die Begegnungen mit den jeweiligen anderen zwar schneiden, aber nicht relevant sind für etwaige Ermittlungsergebnisse. Die beiden mehr oder weniger erwachsenen Zeugen polstern ihre Geschichten bloß mit Verschönerungen auf, verschweigen summa summarum ein paar Lines, nen totgefixten Dealer und die Tatsache, dass Polizisten den Leuten die Reifen zerschießen um sie dann, wie sollte es in Amerika anders sein, mit ihren Schießeisen etwas in den Popo zu pieksen. Was letztendlich damit vertuscht werden soll, ist schlicht und ergreifend die Tatsache, dass wir es mit einer Bande ziemlicher Trottel zu tun haben, die einer Explosion kompromissloser Kriminalität auf den Leim gegangen sind.
Die Riege der Trottel setzt sich fort, sobald man die Dorfpolizisten kennenlernt. Die erinnern etwas an die adaptierte Pulp-Fiction Version von Tjure und Snorre, der Chef des Ganzen würde die Wahl zum Mr. Stereotyp 2008 gewinnen und die Sekretärin ist die kaffeekochende Mutter Theresa auf Botox.
Was im Film den Humor ausmacht, ist genau diese Mischung. Insofern hätte ein Michael Moore sowas in Co-Produktion mit Robert Rodriguez durchaus als Feldstudie des echten Walker-Texas-Ranger verkaufen können und ich hätte das für eine köstlich ironische bare Münze genommen. Besonders der Umgang von Agent Hallaway mit Tjure und Snorre ist, was den Dialog angeht, auch ohne besonderes Tempo ein guter trockener Wein und ich musste mehrmals breit schmunzeln. Allerdings fiel mir dann noch rechtzeitig ein, dass ich ja in einem Lynch-Film sitze, also schärfe ich meinen Verstand und verdächtige alles und jeden. Und ohne hier die großen Spoiler an die Wand malen zu wollen: Da ist nichts verschachtelt, versteckt oder gar zu weit gegriffen. Es ist sogar sehr banal und leicht zu durchschauen, was da abläuft. Und so stellt sich schon nach einem Drittel des Films eine Unzufriedenheit ein. Die wird zwar noch etwas unterfüttert, weil man nicht mal das Massaker in seinem vollen Ausmaß gesehen hat, aber selbst das Finale bringt leider kein einziges AHA-Erlebnis.
Das braucht auch keiner... Denn die amerikanischen Thriller-Regisseure (Beispiele Night-Shyamalan, Gary Fleder "Sag kein Wort") haben nämlich den *ironie an* ultimativen Joker, um Filmen die Note von Verfremdung, Verstörung und dramatischer Besonderheit zu geben: Das Kind mit IQ 200 und der taktischen Coolness eines Hold'Em Profis. Dieses achtjährige Mädchen ist die geschrumpfte Clarice Starling, rennt mit nem tragbaren Fernseher durch die Walachei, um die Tagesschau nicht zu verpassen, erkennt bei 80 Meilen pro Stunde, dass Blut unter einem liegengebliebenen Auto durchsickert und pflegt hochsensible Beziehungen zu ihren Mitmenschen. Sie trinkt heißen Kakao mit Marshmallows, nachdem ihre ganze Patchwork Familie zermatscht und durchsiebt wurde und findet dann auch noch die Cleverness zu schwarzem Humor: "Meine Mama sagt immer, ich darf das nicht sehen. Ah... ich meinte natürlich... SIE HAT GESAGT..." Desweiteren riecht das Kind Affären und Liebeleien auf 10 km gegen den Wind und labt sich an der Gunst der Killer, die sie schon entlarvt und als zurechnungsfähig eingestuft hat.
Mal ehrlich: Wenn mein Kind das mit acht Jahren könnte, bzw. wenn auch nur die Anzahl der in Thrillern mitspielenden Kinder mit diesem geistigen Format wirklich existieren würde, wäre Sponge Bob neben Malibu Stacey im Akt verstaubt und jede Wasserpistole würde als gewaltverherrlichend im Puppenhaus liegen gelassen - vom Kind selbst, nicht vom Schmalspurpädagogen.
Mittlerweile ärgert es mich wirklich, wie überzogen Kinder in solchen "Psycho"-Thrillern eingesetzt werden. Ich sehe niemanden schreien, ich sehe keine Apathie, ich sehe nichts, was entfernt an quälende, quengelnde Realblagen erinnert. Sowas macht jeden Film, der eigentlich darauf bedacht ist, Panik zu schaffen und zu schockieren, unheimlich unglaubwürdig. Denn wenn dieser Film das nicht tun soll, dann versteh ich die Intention der Schöpferin nicht wirklich. Es sei denn, sie hat versucht, den Titel, ob nun deutsch oder englisch, thematisch umzusetzen. Und dann auch noch so, als hätte der Herr Vater als Lehrmeister ein paar Notizen von Dingen gemacht, die in jeden amerikanischen Film reinmüssen. Denn Unter Kontrolle oder Surveillance sagen schon alles, bevor man den Titel des Films im Kinosaal gesehen hat. Allein das ist es, was den Film beständig macht.
Das wirklich widersprüchliche ist der Effekt, den der Film erzielen will. Wenn es der Spannungsaufbau ist, entweicht die Luft wie ein feuchter Furz durch das viel zu flache, übertriebene und doch durchsichtige Ende. Wenn es die Gesellschaftskritik ist, hält Frau Lynch wohl jeden, der nicht ein psychopathischer Killer ist, für absolut grottendoof und Kinder für die Rettung der Intelligenz. Selbst dann, wenn der Vadder n Macho und die Mudder ne beschwipste Staaten-Thomalla ist. Wenn es der Schockeffekt ist, hat sie zumindest Julia Ormond völlig fehlbesetzt. Denn der kauft man bloß die sentimentale FBI Agentin ab, allerdings nichts, was danach kommt. Die ist zum Kakao holen gerade noch annehmbar. Hätte man wirklich schockieren wollen, müsste, so böse es klingt, das Kind in alle Einzelteile zerlegt werden. Denn dass ein paar Trottel den bösen Sadisten auf den Leim gehen, hatten wir in der letzten Zeit schon genug.
Alles in allem kann man sich fragen, wieso ich zu einem von mir so verballerten Film noch so viel schreibe:
Ich hatte wirklich eine Hoffnung. Eine Hoffnung, mal wieder an der Nase herumgeführt zu werden. Wie in "Sieben". Oder vielleicht mal wieder auf ein neues Weltbild zu stoßen, mich am Chaos zu laben wie in "Fight Club". Lynchs Tochter scheint mir aber hier eher eine Ode an die Naivität abgegeben zu haben. Ob die Naivität auf Seiten des Zuschauers liegen SOLL oder ganz einfach nur den Spannungsbogen betrifft, weiß ich leider nicht.
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