The Zone of Interest
USA, Großbritannien, Polen 2023, Laufzeit: 106 Min., FSK 12
Regie: Jonathan Glazer
Darsteller: Christian Friedel, Sandra Hüller, Ralph Herforth
>> www.leoninedistribution.com/filme/172097/the-zone-of-interest.html
Tonspur des Schreckens
Matt513 (266), 09.03.2024
Ein KZ stelle ich mir als Ort endgültigen Schreckens vor. Was dies in Bildern bedeutet, hat Spielberg uns bereits drastisch vorgeführt, auch wenn Plaszow nicht die unfassbaren Dimensionen eines Massenvernichtungslagers wie Auschwitz hatte. So immens wichtig sein Beitrag zum Thema war, für den Kinogänger ist natürlich stets eine noch nicht dagewesene filmische Herangehensweise wieder interessant.
Glazer macht den Schrecken nun in ähnlich eindrücklicher Weise begreifbar, jedoch primär auf der Tonspur. Schon im Intro zerstreut ein wimmernder Chor alle etwaigen Zweifel, die die Ansicht der Vorabbilder gesät haben könnte - das wird jetzt kein Film über Gartenbau und unbeschwerte Kindheit. Das Grauen schleicht sich an den Zuschauer oder besser: Zuhörer heran. Anfangs nur vereinzelt vernehmbar, hängt bald ein fernes Gemisch von Schreien, dem Gebell von Zwei- und Vierbeinern, Zischen von Lokomotiven und immer wieder Schüssen über der Szene. Und indem sie dieses akustische Trauma konterkarieren, wirken dazu die an sich banalen Bilder des idyllischen Zusammenseins von Familie Höß, die Großaufnahmen von Blumen wie ein perfider Verstärker. Das hebt Glazers Film heraus. Man sitzt paralysiert da, lauscht bald nur noch der Tonkulisse und denkt sich, wie konnten die da so seelenruhig ihren Nachwuchs großziehen und Gartenfeste feiern, direkt daneben? Papa Höß bei der Arbeit; Ort vermutlich die Ausladerampe, lediglich zu hören ein kollektiver Ausruf menschlicher Verzweiflung. Er aber steht und schaut unbewegt wie der Bauer auf dem Feld. Hausfrau Höß hätte man wenigstens zu Beginn des Films stoische Verdrängung zugute halten können. Aber spätestens, wenn sie dem polnischen Hausmädchen seelenruhig bedeutet, wie leicht ihr Gemahl es in Asche verwandeln könnte, ist klar, daß die Eheleute Höß in Sachen menschenverachtender Eiseskälte einander nichts schenken. Ignoranz? Nö. Eher in der Wolle gefärbte Nazis. Das belegt auch die gepflegte Konversation beim Kaffeeklatsch oder wenn die Mama zu Besuch kommt; die Nachbarin, jetzt vermutlich auf der anderen Seite der Mauer, die las doch immer irgend so bolschewistisches oder hach, halt so jüdisches Zeugs.
Zwei Aspekte der filmischen Umsetzung verdienen besondere Erwähnung. Einerseits die Kameraführung. Läuft z.B. jemand durchs Haus, folgt ihm die Kamera nicht und es gibt auch keine Schwenks. Stattdessen wechselt die Perspektive zwischen mehreren, statischen Einstellungen wie auf den Bildschirmen einer Objektüberwachung. Andererseits gibt es fast keine Portraitaufnahmen. In einer Handvoll Szenen werden die Charaktere mal schräg von seitwärts oder unten gefilmt. Ansonsten alles aus der Totalen bzw. Halbtotalen. Diese stumpfe, distanzierte Darstellung ist wichtig für den Film. Bei umgekehrt gewählten Mitteln hätte die Charakterzeichnung schlimmstenfalls ins empathische verwässert werden können.
Also, was man zunächst eher zufällig als auch im Wettbewerb befindlich wahrgenommen hat, entpuppt sich als ausgesprochen sehenswerter, im profunden Sinne schrecklicher Beitrag. Normalerweise würde ich des Themas wegen dieser Nicht-Hollywood-Arbeit eine veritable Chance auf den Preis des besten Films einräumen. Bei den derzeitigen globalen Ressentiments glaube ich allerdings nicht ernsthaft daran.
________
Nach Lektüre der Filmbesprechung in der FAZ vom 28.02. darf ich aufgrund teils ähnlicher Formulierungen anfügen, daß mein Beitrag ohne vorherige Kenntnis entstand.
"Auschwitz nicht nicht zeigen"
Raspa (391), 07.03.2024
Diese quasi paradoxe Formulierung habe ich irgendwo gelesen, und sie trifft das Spezifische dieses Films sehr gut, finde ich. Denn Auschwitz wirklich zeigen - das kann nicht gehen, und so ist die hier gefundene Lösung, ohne Bilder AUS dem Lager auszukommen und dem Zuschauer dennoch ein Bewusstsein davon zu vermitteln, wie es möglich ist, dass "normale" Menschen an dieser Todesfabrik mitwirken und unmittelbar daneben leben konnten, die vielleicht einzig mögliche Weise, Auschwitz in einem Nicht - Dokumentarfilm zu zeigen.
Möglicherweise denkt der eine oder die andere: Soll ich mir das unbedingt ansehen? Meine Antwort: Ja, tu es!
Erschreckend: Man gewöhnt sich scheinbar an alles
Olli (82), 03.03.2024
Es ist fast genau vierzig Jahre her, dass ich als Student in Katowice im Rahmen eine Studentenaustauschs tätig war. Ein Besuch des KZ Auschwitz-Birkenau gehörte da natürlich mit zum Pflichtprogramm. Es sind mir tatsächlich heute noch einige Dinge in Erinnerung. Würde ich mich an den Film "The Zone of Interest" ebenfalls in vierzig Jahren noch erinnern? Wohl eher nicht (Einmal davon abgesehen, dass ich dafür steinalt werden müsste)! Ja, der Film ist beeindruckend. Aber ist er deswegen schon eine Empfehlung für einen Oscar?
Das Grauenhafte an dem Film ist tatsächlich, dass einem vor der Normalität des Films graut. Ob es wirklich ein Gewinn für den Film ist, die Kamera zum Teil einfach laufen zu lassen und die Protagonisten quasi "unbeobachtet" zu filmen, bin ich mir nicht sicher.
Das Spannungsfeld zwischen Normalität und Grauen wird dann noch einmal am Schluss besonders deutlich. Natürlich wird dazu hier nichts weiter verraten... Anschauen sollte man sich den Film schon!
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Die hemmungslose Leinwand
Sexualität im Kino – Vorspann 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Sorge um die Filmkultur
Veränderungen und Einsparungen stehen vor der Tür – Vorspann 09/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Sommer-Endspurt
Humor und Weltrettung für Jung und Alt – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Pssst!
Zu Spoilern, Prequels und Remakes – Vorspann 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Ein Fest des Kinos
Die Kölner Kino Nächte präsentieren an 4 Tagen knapp 50 Filme – Festival 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Die schwierige Situation in Venezuela
„Das Land der verlorenen Kinder“ im Filmhaus – Foyer 06/24
Sternenkriege und Weißer Terror
Volles Sommerkinoprogramm – Vorspann 06/24
Ungewöhnliches Liebesdrama
„Alle die du bist“ im Odeon – Foyer 05/24
Doppelter Einsatz für „Afrika“
Spendenaufruf des Afrika Film Festivals – Festival 05/24