Shanghai, Shimen Road
China 2011, Laufzeit: 82 Min.
Regie: Shu Haolun
Darsteller: Ewen Cheng, Xufei Zhai, Lili Wang
Eine Jugend in China
hanslucas (5), 23.06.2014
FotografInnen sind die perfekten FilmprotagonstInnen. Sie figurieren für das Ringen eines Films, den Geist einer Zeit einzufangen. Juliette Binoche versuchte in der Kundera-Adaption „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ das demokratische Aufbäumen des Prager Frühlings festzuhalten. David Hemmings steht in Antonionis „Blow Up“ als Mode-Fotograf sinnbildlich für das Lebensgefühl der Swinging Sixties in London.
Auch in „Shanghai Shimen Road“ des jungen Regisseurs Haolun Shu steht ein Fotograf im Mittelpunkt. Shanghai, Sommer 1989: Der 17-jährige Xiaoli (Ewen Cheng) hat eine Kamera von seiner Mutter geschenkt bekommen und möchte nun Chinas Cartier-Bresson werden. Fasziniert hält er damit seine Umwelt fest. Zusammen mit seinem umsichtigen Großvater lebt er in einem alten Backsteinhaus, den sogenannten „Shikumen“ in Shanghai. Xiaolis Mutter ist in den USA, er soll ihr demnächst nachkommen. Vor der Kulturrevolution gehörte das Gebäude der Familie; jetzt sind sie hier mit zusammen mit einigen Arbeiterfamilien einquartiert. Darunter ist auch die hübsche Fabrikarbeiterin Lanmi (Xufei Zhai), für die Xiaoli heimlich schwärmt. Dann kommt es zu den Studentenprotesten in Beijing. Mit seiner Klassenkameradin Lili lernt er das spannende Leben außerhalb seiner Straße, den Wandel Chinas und westliche Lebensformen kennen.
Haolun Shus autobiographisch geprägter Film hält das Erwachsenwerden inmitten politischer Aufbruchstimmung fest. Umso melancholischer erscheint das, wenn die politischen Proteste nur aus der bedrückenden, provinziellen Peripherie wahrgenommen wird, wo Xiaoli das Geschehen im Fernseher verfolgt, ansonsten aber Englisch büffelt und diskret für die Nachbarstochter Lanmi schwärmt. Von einer leisen Politisierung wird er dann aber erfasst, wenn er zusammen mit der Mitschülerin Lili in der Schule aufmuckt. Neben der Aufbruchstimmung der Jugend ist es der Wandel Chinas und Shanghais, den der Film wehmütig beschreibt. Immer wieder werden die Szenen von Schwarzweißfoto-Montagen unterbrochen, die das Alte festhalten. Im kleinen der Gasse spiegelt sich die urbane Veränderung im Großen. Denn heute ist Shanhgai eine der chinesischen Städte, in der die Gentrifizierung boomt. Das einstige Stadtviertel mit den „Shikumen“ liegt dagegen Brach. „Shanghai Shimen Road“ erhebt eine nostalgische Stimme für dieses Entschwundene, das nur Fotos festhalten können. Denn erst wenn die Zeit schnell vor sich her taumelt, evozieren Fotos etwas von Wahrheit.
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