Manchester by the Sea
USA 2016, Laufzeit: 139 Min., FSK 12
Regie: Kenneth Lonergan
Darsteller: Casey Affleck, Michelle Williams, Kyle Chandler, Lucas Hedges
>> www.manchester-by-the-sea.de/
Das schleichende Gift der Katastrophe
woelffchen (597), 02.02.2017
Da zum Inhalt dieses auch m.E. überaus sehenswerten Films in den vorhergehenden Kritiken schon so gut wie alles gesagt bzw. geschrieben wurde, hier nur noch ein kurzer Beitrag von mir. In solchen familiären bzw. rein persönlichen Katastrophen kommt es letztlich darauf an, wieviel psychisches Potential ein Mensch zur Verfügung hat, um eine solche Situation zu bewältigen und sie auf lange Sicht auch zu verarbeiten oder daran zu scheitern. Meines Erachtens ist dies jedoch ohne eine solide, fundamentale, transzendente Position i.S. von Schuld - Sühne - Vergebung und Heilung nicht möglich, denn:
„Wir meinen, mit der Vergangenheit abgerechnet zu haben, aber die Vergangenheit hat mit uns nicht abgerechnet.“ (Zitat aus „Magnolia“ von P.T. Anderson, 1999). In diesem Film versucht Lee Chandler zwar, auf der rein natürlichen Ebene alles richtig zu machen, scheitert aber letztlich an seiner eigenen Unvollkommenheit und Schwäche. Fazit: Sehr sehenswert
Ein Dasein als Pflanze
Matt513 (266), 30.01.2017
Es muß der Gesamtmix sein, wegen dem dieser Film so gut funktioniert. Unter den vielen gelungenen Aspekten wie Regie, Kamera und Schnitt, dem durchweg vortrefflichen Ensemble, ferner der Erzähltechnik, welche den Ablauf stetig zwischen erzählerischer Vergangenheit und Gegenwart springen läßt, ist es Afflecks Darstellung als Lee, die einen als Zuschauer mitnimmt.
Nach einem unfaßbaren Schicksalsschlag (welche Tragik!) bricht Lee zur Unzeit eine seelische Stütze weg: Sein Bruder stirbt. Vom emotionalen Standpunkt gesehen, ist die Wucht dieser Ereignisse erschlagend und löscht Lee als menschliches Wesen regelrecht aus. Manchem Unglück wohnt ein Fünkchen Hoffnung inne, die Zeit heile viele Wunden. Nicht so hier. Diese Leere im Inneren, dieses apathische Dasein jenseits jeglicher Hoffnung auf Trost darzustellen, nicht eben eine leichte Aufgabe für den Darsteller. Große innere Verzweiflung, das Hadern mit dem unverrückbaren Schicksal einerseits in Bilder zu setzen, ohne dabei andererseits ins Pathos zu verfallen, ein schmaler Grat, würde ich sagen. Nach dem letzten Willen des Bruders soll Lee für den Neffen sorgen. Dessen etwas zu ausführlich gehaltene Szenen (die Band, die Freundin) sind für mich der einzige Kritikpunkt an diesem hochwertigen Film, weil sie ihn in die Länge zogen und zudem seinen tragischen Grundton etwas verwässerten, was auch entsprechendes Gelächter im Publikum belegte.
Ein beeindruckender Vertreter des sog. American Independent und ein potenter Anwärter auf den Oscar außerdem.
Ernsthaft und authentisch
Nick (40), 26.01.2017
Casey Affleck musste für diesen Film nur 2-3 Gesichtsausdrücke drauf haben. Er stellt glaubhaft und ohne Kitsch einen Mann dar, der durch eigene Schuld alles verloren hat, nicht mehr auf die Beine kommt und keinerlei Interesse mehr an sozialen Beziehungen zeigt. Auch als er Verantwortung für seinen 16jährigen Neffen übernehmen muss und in seinen Heimatort zurück kehrt, gelingt es ihm nicht, die Schatten der Vergangenheit hinter sich zu lassen.
Ein Herbst- bzw. Winterfilm, überzeugend, bewegend, amerikanisch, unromantisch.
Ein stilles Drama
Raspa (392), 23.01.2017
Lee arbeitet als Hausmeister in Boston, muss sich um tropfende Hähne, verstopfte Toiletten und nicht zuletzt um meist missmutige Mieter und Mieterinnen kümmern, die ihm entweder das Leben schwer machen oder ihn verführen wollen. Warum erträgt er das alles mit scheinbar stoischem Gleichmut? Sehr viel später erfahren wir, welche Katastrophe ihn zuerst fast in den Suizid und dann in ein Leben mit gepanzertem Gemüt getrieben hat. Dass die tiefe seelische Wunde aber nicht wirklich zugeheilt ist, zeigt sich dann und wann, wenn Lees scheinbare Lethargie plötzlich in erschreckende Anfälle von Aggressivität umschaltet. Nun ist sein älterer Bruder Joe gestorben, und Lee soll die Vormundschaft für dessen einzigen Sohn Pattrick, "Paddy", übernehmen, einen High School - Adoleszenten mit allen alterstypischen Macken, wunderbar von Nachwuchsschauspieler Lucas Hedges verkörpert. Lee will sich trotz einiger Bedenken der Aufgabe nicht entziehen, zumal die psychisch kranke Mutter des Jungen dafür nicht in Frage kommt. Er will aber nicht im titelgebenden Seestädtchen leben ( der Ort erinnert an das Setting von "Olive Kitteridge", der Verfilmung des Romans von E. Strout ), da ihn dort alles an das damalige Trauma erinnern muss. Erklären kann er dies dem Teenager aber nicht, der natürlich nicht aus seiner Umgebung herausgerissen werden möchte. Dieses letzlich fast unauflösbar erscheinende Geflecht beschreibt der Film in großer Ruhe, in vielen kleinen, oft unscheinbar erscheinenden Szenen. Dass aus den USA nicht nur Sequels und Prequels von Blockbustern kommen, sondern immer mal wieder auch solche nachdenklichen, schönen Filme, ist wirklich erfreulich und unbedingt einen Kinobesuch wert.
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Die hemmungslose Leinwand
Sexualität im Kino – Vorspann 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Sorge um die Filmkultur
Veränderungen und Einsparungen stehen vor der Tür – Vorspann 09/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Sommer-Endspurt
Humor und Weltrettung für Jung und Alt – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Pssst!
Zu Spoilern, Prequels und Remakes – Vorspann 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Ein Fest des Kinos
Die Kölner Kino Nächte präsentieren an 4 Tagen knapp 50 Filme – Festival 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Die schwierige Situation in Venezuela
„Das Land der verlorenen Kinder“ im Filmhaus – Foyer 06/24
Sternenkriege und Weißer Terror
Volles Sommerkinoprogramm – Vorspann 06/24