L'esquive
Frankreich 2003, Laufzeit: 117 Min.
Regie: Abdel Kechiche
Darsteller: Osman Elkharraz, Sara Forestier, Sabrina Ouazani, Nanou Benahmou, Hafet Ben-Ahmed, Aurélie Ganito, Carole Franck, Hajar Hamlili, Rachid Hami, Meriem Serbah
Geflucht wird viel in dem zweiten Spielfilm von Abdellatif Kechiche. Vor allem geflucht! Die Teenager in einer Pariser Trabantenstadt - hier reiht sich Hochhaus an Hochhaus - haben ihre eigene Sprache, und die ist rau und direkt. Ganz anders die Sprache des Dichters Pierre Carlet Chamblain de Marivaux, der in der ersten Hälfte des 18.Jhd. komödiantische Stücke schrieb. So bergen die Szenen, in denen Lydia, ihre Freundin Frida und Rachid inmitten der Betonklötze auf einem trostlosen Spielplatz Marivaux' "Das Spiel von Liebe und Zufall" proben, einiges an Komik. Sowohl die Sprache als auch die Kostüme wirken deplatziert und sorgen vor allem bei den häufigen Streitereien für einen spannenden Kontrast. Hier werden mit Sprache und Kostüm soziale Klassengrenzen genau so durchmischt wie in Mariaux' Stück um die Liebe zwischen verschiedenen Ständen. Es wirkt wie eine im elitären Elfenbeinturm konstruierte Idee, Hauptschüler aus einem sozialen Brennpunkt klassisches Theater spielen zu lassen. Aber die Idee ermöglicht einen Blick auf die Jugendlichen, der in einem Drama mit den üblichen 'harten' Themen verdeckt bliebe. Der Riss durch das stereotype Bild der aggressiven Vorort-Kids macht den Zuschauer sensibel. "Diese Vororte werden dermaßen stigmatisiert, dass es fast revolutionär erscheint, dort eine Geschichte anzusiedeln, bei der es nicht um Drogen, verschleierte Mädchen oder Zwangsheirat geht", erklärt Kechiche. "Ich jedoch wollte verstehen, wie dort über Liebe und auch das Theater geredet wird". Das 'Theater' kann man durch 'Leidenschaft' oder auch 'Hobby' ersetzen, und man versteht plötzlich, hinter und zwischen all den verbalen Aggressionen und Drohgebärden die eigentlichen Aussagen - meist unausgesprochene Wünsche - zu entdecken. Dies ist eine ganz eigene Sprache mit eigenen Konnotationen in einem eigenen sozialen Gefüge. Innerhalb dieses Systems funktioniert das, wird verstanden. Nicht, dass man dort leben möchte und sich dort sicher und geborgen fühlen könnte. Aber dass das größte Problem dieser Kommune jenseits dessen Grenze liegt, zeigt am Ende des Films ein rassistischer Übergriff der Polizei auf die Jugendlichen. Da bricht das Irrationale ein, mit dem man absolut nicht mehr umgehen kann.
(Christian Meyer)
Zermürbte Gesellschaft
choices preview zu „Critical Zone“ im Odeon – Foyer 11/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Die ganze Palette Kino
9. European Arthouse Cinema Day – Festival 11/24
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Liebe und Macht
choices preview zu „Power of Love“ in der Filmpalette – Foyer 10/24
Schnitte in Raum und Zeit
Die 24. Ausgabe des Festivals Edimotion in Köln ehrt Gabriele Voss – Festival 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
Die hemmungslose Leinwand
Sexualität im Kino – Vorspann 10/24
„Zuhause sehnen wir uns nach der Ferne...“
Kuratorin Joanna Peprah übers Afrika Film Fest Köln – Festival 09/24
Afrikanisches Vermächtnis
Das 21. Afrika Film Festival widmet sich dem Filmschaffen des Kontinents – Festival 09/24
Kurzfilmprogramm in der Nachbarschaft
„Kurzfilm im Veedel“ zeigt Filme zu aktuellen Themen in Köln – Festival 09/24
Sorge um die Filmkultur
Veränderungen und Einsparungen stehen vor der Tür – Vorspann 09/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Volles Programm(heft)
40-jähriges Jubiläum der Internationalen Stummfilmtage Bonn – Festival 08/24
Sommer-Endspurt
Humor und Weltrettung für Jung und Alt – Vorspann 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Pssst!
Zu Spoilern, Prequels und Remakes – Vorspann 07/24
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
Ein Fest des Kinos
Die Kölner Kino Nächte präsentieren an 4 Tagen knapp 50 Filme – Festival 07/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
Die schwierige Situation in Venezuela
„Das Land der verlorenen Kinder“ im Filmhaus – Foyer 06/24
Sternenkriege und Weißer Terror
Volles Sommerkinoprogramm – Vorspann 06/24