Eine Zeitreise in eine andere Epoche zu unternehmen, diese Vorstellung vermag uns alle zu elektrisieren. Mit Hilfe der Fotografie ist eine solche Reise möglich: Candida Höfer hat ihre Archive für die Galerie Thomas Zander in Köln geöffnet und zeigt Aufnahmen aus den 60er und 70er Jahren, als in jeder Kneipe noch ein Flipper-Automat stand. Das Leben der türkischen Einwanderer, die bei strenger Trennung von Männern und Frauen in Clubs und Parks ihre Freizeit verbringen, kann man als historische Dokumente in Augenschein nehmen. Lebensmittelgeschäfte und Metzgereien verraten viel von der Atmosphäre und dem Lebensgefühl der Menschen in der rheinischen Wohlstands-Republik.
Auch Garry Winogrand interessierte das Leben im Strom des Alltags. Junge Frauen im Café, spielende Kinder auf der Straße, oder Männer, denen man die Erschöpfung eines langen Arbeitstages ansieht – das sind Motive, die der Amerikaner fotografierte, als er in den 70er Jahren Europa bereiste. Der Begriff der „Street Photography“ ist mit keinem Namen so eng verbunden wie mit Garry Winogrand, der auch den Charme und die Ausgelassenheit der Society Amerikas in der Ära von Nixon und Ford wie niemand sonst mit seiner Kamera zu dokumentieren vermochte. Jetzt zeigt die Galerie Thomas Zander Aufnahmen von Winogrands Abstecher nach Europa. Fotografien, die sein zärtlich erotisches Interesse an Menschen und ihren Gesten demonstrieren.
In England fotografierte er Hausfrauen an der Bushaltestelle, die sich ebenso unerschütterlich geben wie die modebewussten Frauen, die ohne BH morgens zu ihrer Arbeitsstelle eilen. Winogrand brillierte mit der ihm eigenen Bildkomposition, die an den Rändern rechts und links die Bildszene öffnet. So beginnt sich die Fantasie der Betrachter unweigerlich mit der Tatsache zu beschäftigen, dass die Aufnahme nur ein Ausschnitt der Wirklichkeit ist und das Geschehen auf dem Bild ein Vorher und Nachher besitzt. In Europa befiel den Amerikaner allerdings bisweilen ein Anflug von Sentimentalität, so dass er wunderbar beobachtete Kinderszenen in sich abgeschlossen wie kleine Ikonen fotografierte. Allen Bildern gemeinsam ist eine Lust am Dasein, die Winogrand mit der ihm eigenen Spontaneität festzuhalten verstand.
Großartige Arbeiten bietet eine Etage höher dann die Ausstellung von Candida Höfer, die „Frühe Arbeiten“ der Kölner Fotografin zeigt. 1968 führte eine Recherche die damals 24Jährige nach Liverpool. Lange bevor die Talente von Candida Höfer in der Schule von Bernd und Hilla Becher auf sachliche Strenge hin kanalisiert wurden, gelangen ihr feine Menschenbetrachtungen von Männern, die einsam in die Jahre gekommen waren, oder von miteinander lachenden Frauen. Stilistisch sind diese Aufnahmen ganz nah am Werk von Winogrand oder Lee Friedlander. Auch der Blick für urbane Räume ist außerordentlich und offenbart den Einfluss von Lehrmeister Karl Hugo Schmölz. Zugleich verraten die Blicke in Liverpools Straßen aber ein Gespür für die Körpersprache der Menschen, wie man es bei Schmölz nicht findet. Das bezeugen auch Aufnahmen aus dem Düsseldorfer Schauspielhaus, auf denen man beobachten kann, wie Menschen in Räumen agieren und sie durch ihre Anwesenheit interessant machen. Wunderbar, dass man diese Bilder nun sehen kann; schade, dass Candida Höfer diese Sujets in ihrem Werk nicht weiter verfolgt hat.
„Candida Höfer – Frühe Arbeiten“/„Garry Winogrand in Europe“ | bis 30.8., Di-Fr 11-18 Uhr, Sa 12-18 Uhr | Galerie Thomas Zander, Schönhauser Str. 8 | www.galeriezander.com
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