„So viel Aufwand haben wir noch nie betrieben!“ Mit diesem Satz begrüßt Galerist Thomas Zander das Publikum zur Vernissage. Damit bezieht er sich auf den Aufbau der Sound-Installation „Travelling Wave“ von Anthony McCall (*1946), die im oberen Stockwerk der Galerie zu sehen beziehungsweise zu hören ist. Von außen sieht es beinahe so aus, als würde im oben gar nichts ausgestellt werden. Auf dem Boden stehen lediglich fünf halbkugelförmige Lautsprecher, die diagonal in einer Linie im Raum angeordnet sind. Erst bei Betreten des Raumes leuchtet die Rolle der Lautsprecher ein. Sie sind darauf ausgelegt, eine maximale akustische Verbreitung zu gewährleisten, um den Zuhörer in ein einzigartiges Sounderlebnis eintauchen zu lassen.
In regelmäßigen Abständen dringt ein Rauschen aus den Lautsprechern hervor. Es schwillt langsam an und bewegt sich diagonal durch den Raum. Es wird lauter und lauter, bis es irgendwann ohrenbetäubend, ja fast unerträglich laut ist. Dann reißt es plötzlich ab und verstummt. Fast könnte man meinen, man stehe am Meer, das Wasser rauscht leise vor sich hin, bis plötzlich ein Sturm heraufzieht und es aufpeitscht. Eine andere Assoziation ist die einer dichten Wolke aus weißem Rauch, die wie eine Welle durch den Raum rollt. Je nach Position des Zuhörers im Raum entstehen immer wieder neue Hörwahrnehmungen, die wiederum neue Assoziationen hervorrufen. Es kommt zu einem Zusammenspiel zwischen Raum, Zeit und Bewegung. Die Natur wird aber auch ins Verhältnis zur Technik und zu Objekten gesetzt.
Die Idee zu dieser Installation entwickelte der ursprünglich aus England stammendende New Yorker Künstler Anthony McCall bereits im Jahre 1972 – allerdings wurde das Werk damals nicht umgesetzt. Erst 2013 begann er sich wieder für seine Idee zu interessieren, musste jedoch feststellen, dass seine Tonbandaufzeichnungen, die er über 40 Jahre zuvor gemacht hatte, verschwunden waren. Glücklicherweise gab es Studioaufzeichnungen von Sessions, in denen die Tonbänder entstanden waren. So gelang es McCall mit Hilfe eines Programmierers die wertvolle Klangarbeit von damals mit modernsten technologischen Möglichkeiten zu rekonstruieren und seine Idee erstmals digital umzusetzen.
Auch im Erdgeschoss kommt der Betrachter mit Naturphänomenen und insbesondere mit dem Phänomen der Wolkenformation in Berührung. Allerdings findet das Erleben hier auf visueller Ebene statt. An den Wänden hängt eine Auswahl an großformatigen Schwarz-Weiß-Fotografien des ebenfalls amerikanischen Künstlers Mitch Epstein (*1952). Auch er beschäftigt sich auf beeindruckende Weise mit dem Verhältnis von Naturphänomenen zu Objekten beziehungsweise zu der Großstadt New York City. Seine Aufnahmen zeigen Wolkenwände, die so gewaltig und dicht sind, dass die Wolkenkratzer unscheinbar am Bildrand verschwinden. Zudem fotografiert er Steinformationen und einen Baum im urbanen Stadtbild, die er wie Skulpturen inszeniert.
Seine Fotografien stellen die besondere Macht und Kraft der Natur dar. Sie appellieren an den menschlichen Übermut und lassen begreifen, dass wir uns nicht über die Natur stellen können und es aufgeben sollten, sie beherrschen zu wollen.
„Travelling Wave“ von Anthony McCall & „Rocks, Clouds and a Tree“ von Mitch Epstein | bis 17.6., Di-Fr 11-18, Sa 12-18 Uhr | Galerie Thomas Zander, Schönhauser Str. 8 | 0221 934 88 56
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