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v.links n. rechts: G.M. Tamás, Barbara Oertel (Moderation), Agnes Heller und Gergely Marton

taz-Medienkongress in Berlin

08. April 2011

In Berlin wurde die Zukunft der Medien verhandelt. Die taz hatte geladen, um zu klären, wie Mister Twitter Old Mubarak stürzte - choices spezial 04/11

„Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“ – unter diesem Titel fand am zweiten April-Wochenende in Berlin der von der „taz“ und der Wochenzeitung „der Freitag“ veranstaltete Medienkongress statt. In Diskussionen, Workshops und Vorträgen wollte man sich über aktuelle Notlagen und Entwicklungen in der Medienwelt austauschen. Das Spektrum an Fragen war dabei offen: Kann der Journalismus, im Hinblick auf zunehmende medienökonomische Konzentrationen, in Zukunft seine Unabhängigkeit bewahren? Welches Bild von Öffentlichkeit haben wir im digitalen Zeitalter? Können Facebook, Twitter und Co. wirklich Despoten stürzen? Waren sie der Ausgangspunkt, oder nur das Beiwerk? Welche Informationen dürfen, sollen und müssen nach Wikileaks zirkulieren?


Medienkongress Tag 1: Von Cyber-Attacks, mutigen BloggerInnen und einem Inselarrest. Der taz-Medienkongress begann mit den globalen Revolutionen
Der Mann hat mit Revolutionen Erfahrung. Evgeny Mozorov kann einiges über die Veränderungen in der Medienlandschaft Osteuropas nach dem Mauerfall sowie über die kurz darauf folgende Interneteuphorie erzählen. Seinen Standpunkt wird früh klar. Die in westlichen Medien so gefeierte und rezitierte Gleichung, der nach facebook, twitter und andere digitale Umschlagplätze für Meinungen der Grund für die beobachteten Revolutionen seien, ist falsch. Jede Revolution keimt auf einem anderen Boden, und dieses Terrain muss, will man diese Prozesse erklären, für sich erforscht werden.

Mozorov hat unter anderem in Saudi-Arabien und den USA gearbeitet, vor allem als Journalist und Blogger. Seinen Erfahrungen zufolge rüsten die Regimes sich seit langem gegen eine Revolution aus den digitalen Tiefen des Volkes. Und zwar in der digitalen Welt selbst. So setzt man in Ländern wie China und Russland bei regimekritischen Webseiten seit langem nicht mehr auf Zensuren. Diese haben den Nachteil, dass der „politische Virus“ verschwindet und wo anders „wieder auftauchen kann“. Statt dessen werden die oppositionellen Plattformen peu à peu mit regimenahen Kommentaren unterwandert. Bezahlte User, Fake-Accounts und massenhaftes Bloggen bis zur Seitenlahnlegung – man saugt den kritischen Content langsam aus. In China hat man dafür eigens die sogenannte „50-cent-Army“. Pro Blogeintrag, der die Regimepolitik auf subversiven Meinungsforen positiv darstellt, gibt es von der staatlichen Institution 50 cent.

Wird die Revolution also bald ausbluten und die regimekritischen Blogs zu einem verwässerten oder gar regimestützenden Meinungsaustausch wandeln? Mozorov verweist hier auf die einzige Verbindung, die das kritische Potential des Internets in eine politische Aktion übertragen kann. Der Protest muss sich auch auf die Straße, und damit in eine politisch relevante Sphäre der Öffentlichkeit übertragen. Dies ist bereits in Ländern wie Tunesien oder Ägypten geschehen. In der anschließenden, international besetzten Diskussionsrunde erzählen unter Moderation von taz-Chefredakteurin Ines Pohl die BloggerInnen Lina ben Mhenni aus Tunesien und Mona Seif aus Ägypten von ihren Erfahrungen bei den Umstürzen. Beide seien von einer Welle der Euphorie in diese Rolle getragen worden. Zunächst war das Bloggen eine persönliche Sache, um sich und seinen Frust über die gesellschaftlichen Zustände mitzuteilen, aber mit der Zeit war man in einer politischen Community, die sich über twitter und co. ein gemeinsamen Sprachrohr formte.

Eine Organisierung in Belarus steht noch aus. Zumindest eine, die eine erfolgreiche Revolution möglich mache, so Viktar Malishewsky, Blogger aus Minsk. Inzwischen gebe es dort einen Großteil, der die Demonstrationen unterstützte, jedoch beim Live-Stream am PC, nicht vor Ort. Digitale Revolution als Unterhaltung. Dana Assad, Onlinejournalist aus dem Irak, erzählte von den Problemen der Journalistenausbildung. Nach dem Sturz des Hussein-Regimes sind zahlreiche Arbeitslose JournalistInnen geworden. Er selbst bildet einige davon aus.

Einen Blog-Berühmtheit wollte er nicht sein, aber der Aufruf des Doktoranden Johannes Staemmler gegen eine Bagatellisierung des Falles Guttenberg hat zahlreiche UserInnen damals mitgezogen. Da er zufällig auch seine Doktorarbeit über Zivilgesellschaften in strukturell armen Regionen schreibt, gibt er ein wenig den akademischen Flügel dieser praxisnahen Runde und betont hin und wieder den Muliplikator Internet.

Bei allen ausländischen TeilnehmerInnen dieses Panels, so Ines Pohl, war es schwer ein Visum zu erhalten. Malishewsky bekam es erst am Abreisetag grünes Licht. Für eine, die kubanische Bloggerin Yoani Sanchez, war eine Ausreise ausgeschlossen. Sie steht unter „Inselarrest“, wie sie es selbst in ihrer Videobotschaft nennt. Sanchez gibt Einblicke in die Kunst des kubanischen Bloggens, in einem Land, in dem es nur eine politische Meinung gibt, nämlich jene der einzigen Partei. In der Bevölkerung mit einer der geringsten Internetzugangsraten weltweit müssen jene, die keinen Anschluss haben, in Hotels gehen, um ihre Blogs zu schreiben. Eine Stunde Internet kostet hier so viel wie ein Drittel des Monatslohnes einer gelehrten Fachkraft. Seit kurzem gäbe es aber eine kürzere und billigere Alternative. Die KubanerInnen verschicken twitter-Nachrichten per SMS. Eine technische Lücke, die dem Regime bisher noch nicht aufgefallen ist und die zur Mittelung von Nachrichten lebenswichtig sein kann, denn die Spitzel sind überall, so Sanchez.

Und was können wir in Deutschland tun? Unsere Regierungsverantwortlichen permanent davon überzeugen, dass es nicht richtig ist, politische Despoten zu unterstützen, ganz gleich wie gekonnt sie Stabilität in ihrer Region garantieren. Sie tun es nämlich auf den Kosten elementarer Menschenrechte. Dazu bedarf es aber eines erweiterten Blickes, der über den hiesigen Blätterwald hinausgeht. Die Tore dazu sind so weit geöffnet wie noch nie.


Medienkongress Tag 2: Die Zukunft der Medien und die Medien der Zukunft. Der taz-Medienkongress in Berlin behandelt beides. Und beides wird das Bild unserer Gesellschaft nachträglich bestimmen. Aber wie?


Lassen Sie sich für einen Moment den Begriff Revolution durch den Kopf gehen? Woran denken Sie? Regimestürze? Brennende Barrikaden? Kampfparolen? Die Revolution, die die Medien sich anders vorgestellt haben – folgt man dem Titel des taz-Kongresses – ist etwas subtiler. Sie, die sich seit Jahren technisch, ökonomisch und spätestens auch seit „Stuttgart 21“ politisch bemerkbar macht, haben viele Medien verpasst. Ist sie aber bereits vorbei, oder folgen jetzt noch mehr Zeichen für eine Neuordnung der öffentlichen Meinungshoheit?

In dem Panel am Samstagmorgen „Machtkampf gegen die Medien – Das Beispiel Stuttgart 21“ kam der Rückstand der so genannten „alten Medien“ im Hinblick auf eine differenzierte Darstellung der politischen Lager gleich mehrfach zur Sprache. So sehr sich Wolfgang Molitor, Interims-Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten, gegen die Verschlingung von Politik, Wirtschaft und Berichterstattung beim Bahnhofsprojekt wehrte – die zivilgesellschaftliche Bewegung gegen das Bauvorhaben wurde von den regionalen Zeitungen politisch unterschätzt und journalistisch verschlafen. Parteipolitik wurde hier konsequent verfolgt, während sich parallel dazu ein neues politisches Lager formierte.

Was passiert aber, wenn die LeserInnen nicht mehr das in ihrem Blatt wieder finden, was sie erwarten? Wenn die Realität, die medial ohnehin stets konstruiert ist, eine einseitige Konstruktion wird? Dies war seit jeher der Fall, meint der österreichische Medienwissenschafter Peter Weibel in der Diskussion. Aber heute wissen die Leute es besser, sie durchweichen das Informationsmonopol, indem sie sich davon abwenden und auf digitaler Basis ein gegenöffentliches Forum herstellen. So der Idealfall.

Was dies für die großen Verlagshäuser wie Springer, Gruner und Jahr oder DuMont bedeutet, wird unter der Frage „Wem gehört der Journalismus“ zur Mittagszeit diskutiert. Drohen sie, wie viele technoaffine Meinungen behaupten, binnen zehn Jahren überflüssig zu werden? Liest man Zeitungen nur noch wegen dem Anfassen, dem Geruch, dem Rascheln, dem „libidinösen Effekt“, wie es Jakob Augstein, Sohn von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein und selbst Verleger der Zeitung „der Freitag“, freudianisch auf den Punkt bringt. Neben ihm als Moderatoren füllen der Mitherausgeber der FAZ Werner d’Inka, der Spiegel-Redakteur Thomas Darnstädt sowie Karlheinz Ruch, Geschäftsführer der taz, die Runde.

Alle drei können nicht oft genug die Bedeutung der Unabhängigkeit einer Zeitung für die Qualität des Journalismus betonen. Dafür müsse man bereit sein, zu investieren, statt, so Werner d’Inka, nacheinander seine Redaktionen einzustampfen. Dies klingt ermutigend. Ist es aber in Zeiten serienmäßiger Redaktionsschließungen (vor allem lokal) realistisch? Umso dringlicher erscheinen erfolgreiche Eingentums- und Finanzierungsmodelle in der Presselandschaft.

Hierzu scheint es aber kein ideales Programm zu geben, sonst wäre die Situation wahrscheinlich nicht so kritisch. Weder Werder d’Inka, noch Karlheinz Ruch oder Thomas Darstädt können hier einen Königsweg vorgeben. Weder das FAZ-Stiftungs- oder das taz-Genossenschaftsmodell, noch der Mehrheitsbesitz einer Zeitung durch die MitarbeiterInnen wie im Falle des Spiegels ist hierbei die goldene Alternative zu den zentral geleiteten Konzern-Verlagshäusern. Bleibt also wieder das Ethos des Journalismus. Hier prescht Darstädt – vorbildlich publizistisch – mit nackten Zahlen hervor und verkündet, dass momentan zwei Drittel beim Spiegel durch Vertriebserlöse (also die redaktionelle Arbeit) finanziert werden und nur ein Dritttel durch Anzeigen.

Auf der anderen Seite wird die Leserschaft nicht jünger und beißt sich an der 50+x als Durchschnittsalterformel fest. Es bleibt schwer vorstellbar, wie die großen Verlagshäuser ohne eine gleichwertige Präsenz der Online- und Printprodukte überleben wollen. Dazu würde auch gehören, die UserInnen für die journalistische Qualität zur Kasse zu bitten. Englische Blätter wie der „guardian“ gelten hier branchenintern schon lange als Vorreiter.

Ein Luxusproblem, so könnte man mit Blick auf die Situation der Medien in Ungarn sagen. In der Diskussion zur „Zensur in Ungarn“, die im Untertitel nach einer „Gefahr für Europa“ fragt, beschrieben die PhilosophInnen Agnes Heller und G.M. Tamás sowie der ungarische Journalist Gergely Marton den politische Hintergrund und die Entstehung des restriktiven Mediengesetztes. Die Zensur- und Kontrollmöglichkeiten der Fidesz-Regierung sind nach Heller die Wiederkehr einer nationalistischen und vereinheitlichenden Staatsführung. „Bonapartismus“ nennt sie das. Man könnte auch von der Rückkehr der sowjetischen Zensursichel in der post-post-sowjetischen, also europäischen, Ära sprechen. Eine Besserung erwarten alle drei nicht gerade durch die EU. Was fehle, sei eine wieder erstarkte Opposition und ein politisch engagiertes Bürgertum.

Was nach zwei Kongresstagen bei aller positiven Themenpluralität bleibt, ist neben den Revolutionsvorstellungen der Eindruck, dass die Potentiale der Veränderung nicht annähernd erschöpft sind, sondern vielleicht gerade erst beginnen, gesellschaftsrelevant zu wirken. Die Existenz der technischen Möglichkeiten darf aber nicht als Allheilmittel gegen Informationsmonopole romantisiert werden. Die Quellen unseres Wissens verlieren sich täglich in Algorithmen. Und wer an deren Ursprung steht, ist selten bekannt. Auch damit muss der Journalist in Zukunft umgehen. Das hat er sich sicher mal anders vorgestellt.

dk

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