Die Ausstellung „Das Auge des Arbeiters“ funktioniert im Käthe Kollwitz Museum als Übernahme innerhalb einer Tournee punktgenau. In seinem Bestreben, die Gesellschaft und die Zeit, in der die sozialkritische Künstlerin Käthe Kollwitz gelebt hat, zu vergegenwärtigen, vermittelt das Museum am Neumarkt derzeit einen sachlichen Blick auf den Alltag und die Allgegenwart der arbeitenden Bevölkerung in den 1920er und 1930er Jahren in Deutschland. Ausgestellt sind Fotografien sowie Fotomontagen (von John Heartfield), dazu Zeitschriften in Vitrinen und auf Monitoren Screenings von Negativen, die zu fragil für den Fotoabzug sind. Unter den Fotografen (die wir nicht mit den heutigen Bildjournalisten und Fotokünstlern vergleichen können) kristallisieren sich im Museum einzelne Persönlichkeiten heraus, die journalistische und dokumentarische Absichten im Sinn hatten und doch ihre Aufnahmen präzise komponierten, etwa Eugen Heilig, Fritz Böhler und Hans Bresler und vor allem Walter Ballhause und Albert Henning. Während Hennig ein geradezu kraftstrotzend heroisches Bild vom Arbeiter zeigt, vermittelt Ballhause vor allem das Leid der Bevölkerung; dazu hat er die Menschen auf der Straße teils mit einem versteckten Fotoapparat aufgenommen und sie so fokussiert, dass sie im Zentrum des Bildes zu sehen sind.
Hintergrund dieser Aufnahmen ist das Zusammentreffen gesellschaftlicher und technischer Entwicklungen. Die Verarmung des Arbeiters in der Gesellschaft dieser Jahre wurde politisiert und öffentlich ausgetragen. Und zur gleichen Zeit wurde die Fotografie erschwinglich; Kameras waren nun nicht mehr das Privileg einiger weniger. Die Arbeiterbewegung der Weimarer Zeit erhielt weitere Aufmerksamkeit durch Zeitschriften wie die „Arbeiter Illustrierten Zeitung“ und „Der Arbeiter-Fotograf“, für die viele der Fotografien in der Ausstellung aufgenommen wurden.
Die Fotografien im Kollwitz Museum zeigen Arbeiter in der Großstadt und auf dem Land. Oft sind sie in ihre körperliche Tätigkeit vertieft, mitunter halten sie inne und posieren für die Kamera. Dabei tritt das Arbeitsumfeld selbst in den Hintergrund, es geht um den Menschen und um seinen Stolz, seine Beherrschtheit. Zu sehen sind aber auch die Verlierer des Krieges, die Arbeitslosen und die Krüppel, auf denen nun die Kamera unerbittlich ruht. Einzelne Männer, Frauen und Kinder sitzen auf einer Treppe, sie sind in sich vertieft ohne öffentlich zu verzweifeln. Überhaupt passiert das meiste Geschehen auf der Straße. Einige Fotografien aber zeigen den Alltag in den Familien, die trotz der ärmlichen Umstände Gelassenheit und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit vermitteln: Männer, die daheim die Zeitung lesen, und ein Kind, das von der Mutter in einem Bottich gewaschen wird. Übrigens kehren hier bestimmte Typisierungen und Posen wieder, welche zur Zeit der Aufnahme sofort verständlich waren. Das zeigt sich auch daran, dass sie auch auf Zeichnungen dieser Jahre vorkommen, etwa bei den grafischen Arbeiten und Plakat-Entwürfen von Käthe Kollwitz, die, zusammengestellt aus dem eigenen Sammlungsbestand, im Museum selbst ausgestellt sind. Hier finden sich sogar Beispiele einer konkreten Übernahme von einem künstlerischen Medium ins andere. Überhaupt, bei allen Ausflügen in der Zeit und in verwandte Medien kehrt das Käthe Kollwitz Museum doch immer zu „seiner“ Künstlerin zurück und umreißt so einen Themen- und Zeitschwerpunkt, der hier über Köln hinaus einzigartig repräsentiert ist.
„Das Auge des Arbeiters“ | bis 12.10. | Käthe Kollwitz Museum | 0221 227 28 99
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