Sieben Blätter, allesamt Druckgraphiken, überwiegend in schwarz-weißen Nuancen, in Formaten, die nicht einmal besonders groß sind. Und doch hat der Zyklus „Bauernkrieg“ (1902/03-1908) zur Bekanntheit von Käthe Kollwitz beigetragen. Mit ihm erhielt die Kollwitz als erste Frau den Villa-Romana-Preis – und da war der Zyklus noch gar nicht abgeschlossen. Aber der „Bauernkrieg“ ist durch und durch aufwühlend realistische Schilderung von Unterdrückung, Widerstand und Leid und damit existenzielle Erfahrung über das historische Ereignis hinaus. Käthe Kollwitz bezieht sich in ihm auf den Bauernaufstand von 1524/25, der durch die Schriften von Luther befeuert wurde, aus der Sicht der Bauern. Zugleich wendet sie sich dem neuen Selbstbewusstsein des Individuums nach der Renaissance und in Zeiten der Reformation zu. Dass sich die Arbeit am „Bauernaufstand“ über etliche Jahre erstreckt und sich währenddessen ihre Bildsprache wandelt, ist der Intensität ihrer Beschäftigung geschuldet. Käthe Kollwitz schließt zugleich an ihren ersten – ebenfalls druckgraphischen – Zyklus an, „Ein Weberaufstand“ (1893-97), der auf Gerhard Hauptmanns Sozialdrama beruht. Für den „Bauernaufstand“ nun hatte sie vor allem eine illustrierte Volksausgabe als Vorlage, die über die Ereignisse im frühen 16. Jahrhundert rein beschreibend Bericht erstattete: Käthe Kollwitz selbst lag schließlich an der Wirklichkeit. An ihr formuliert sie ihre sozialkritische Haltung mit dem sympathisierenden Gespür für das Einzelschicksal.
Jetzt also ist der „Bauernkrieg“-Zyklus Gegenstand einer Sonderausstellung im Museum in der Neumarktpassage. Die sieben Blätter hängen an der zentralen Stirnwand in ihrer erzählerischen Abfolge. Käthe Kollwitz hat jedes Blatt akribisch, in mehreren Schritten erarbeitet, dabei auch einzelne Konzepte verändert und sich in der Zeit umfassend mit den Finessen der Druckgraphik beschäftigt. Das geht so weit, dass sie im fünften Blatt die Textur einer Leinwand simuliert, also nebenbei Kunst über Kunst anfertigt. Und sie hat für ihre Darstellungen die Kunstgeschichte mit ihren Figurentypen und Körperhaltungen konsultiert.
Wie durchdacht das alles ist, lässt sich bereits an der überraschenden Unterschiedlichkeit der sieben Formate erkennen. Das erste Blatt „Die Pflüger“ betont in seinem Querformat, reflektiert im erbarmungslos weiten und leeren Horizont, wie der Bauer statt des Ackertieres in das Gefährt eingespannt ist. Bei der anschließenden Darstellung einer vergewaltigten Bäuerin tastet sich der Blick geradezu schmerzhaft über den Frauenkörper in die Bildtiefe vor. Das Blatt „Beim Dengeln“ schildert mit seiner Dunkelheit das Geheime der Vorbereitungen zum Aufstand. Das Schärfen der Sense zur Waffe spiegelt sich in seiner Konzentration in der am Quadrat orientierten Form wider. Die „Bewaffnung in einem Gewölbe“ staffelt die Soldaten übereinander, so dass ihre Menge, aber auch ihre Einigkeit zum Ausdruck kommt. „Losbruch“ ist das hellste und zugleich größte Blatt, in ihm verdichtet sich alle Handlung und Hoffnung, gefolgt von der Darstellung des „Schlachtfeldes“ mit der Witwe, die sich zum Getöteten herab beugt. In eindringlicher Klarheit zeigt dann das abschließende Blatt „Die Gefangenen“ die überwältigten Bauern zusammengezwängt hinter einem Seil, welches aber von den kraftvollen Leibern jederzeit zu sprengen wäre. Deutlich wird: Die Bauern haben noch lange nicht aufgegeben.
Dazu verleiht Käthe Kollwitz ihren Akteuren ausdrucksstarke Gesten und durchdringende Blicke. In der Ausstellung ist das Psychologisierende der Figuren noch erläutert, indem zu jedem Blatt Vorstufen und verwandten Arbeiten gezeigt werden. Das ist jetzt nicht etwa monoton, sondern im Gegenteil aussagekräftig und anregend. Im vergangenen Jahr widmete sich das Museum unter der Leitung von Hannelore Fischer dem plastischen Gesamtwerk der Kollwitz. Nun also rückt die Druckgraphik in den Fokus. Es gibt viele Gründe, den „Bauernkrieg“ vorzustellen. Einer ist der 150. Geburtstag von Käthe Kollwitz; ein anderer, dass mit ihm der eigene Sammlungsbestand beleuchtet wird. Aber der wichtigste ist doch die Präsenz und Bedeutung dieses Zyklus selbst.
„Aufstand! Renaissance, Reformation, Revolte im Werk von Käthe Kollwitz“ | bis 5.6. | Käthe Kollwitz Museum | 0221 227 28 99
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