Mit der Ausstellung ist es wie mit dem Buch selbst. Anlässlich des Erscheinens des Werkverzeichnisses hat das Käthe Kollwitz Museum in Köln eine umfassende Schau mit den Plastiken seiner Hauskünstlerin eingerichtet. Im Buch von Annette Seeler erschrickt man angesichts der Fülle an Daten und ellenlangen Beschreibungen, und genauso gedrängt wirkt bisweilen die Ausstellung mit den eingezogenen Stellwänden und den Wandtexten. Doch dann beginnt man sich in die Materie einzulesen bzw. einzusehen und erkennt, was für großartige, einmalige Gelegenheiten hier geboten werden. Annette Seeler, die das Werkverzeichnis über mehrere Jahre bearbeitet hat, ist nicht nur eine akribische Wissenschaftlerin, sondern kann ihr Wissen auch vermitteln. Und die Ausstellung schärft gerade im vermeintlich Identischen der Plastiken den Blick für die Details: Nicht nur besitzt jede Skulptur ihre eigene Entstehungsgeschichte, sondern auch ihre einzelnen Güsse teilen viel über das Werk und seine historische Wertschätzung mit. Und wenn man jetzt dabei sein durfte, wie Hannelore Fischer als Hausherrin und Annette Seeler, flankiert von der fabelhaften Ursel Berger, der ehemaligen Direktorin des Georg-Kolbe-Museums, sich die Storys hinter den Datierungsfragen zuspielten, und auf die Aussagefreudigkeit von Gussstempeln und Patinierungen und alten Ausstellungsfotos hinwiesen, wurde erst recht klar, dass das Buch wie auch die Ausstellung Pioniertaten für die künftige Forschung zu Käthe Kollwitz und – darüber hinaus – fundierte Handreichungen für den sachgerechten Umgang mit plastischen Güssen sind.
Zugleich rückt die Biografie weiter in den Vordergrund. Käthe Kollwitz wurde 1867 in Königsburg geboren. Nach einem Kunststudium übersiedelt sie 1891 nach Berlin. Den Durchbruch als Künstlerin erreicht sie wenig später mit ihrem Radierzyklus zu Gerhard Hauptmanns Drama „Die Weber“. Von nun an wendet sich die Kollwitz sozialen Themen zu, sie zeichnet die Armen und die Alten, die Mütter mit ihren Kindern und sie protestiert gegen den Krieg und dann gegen die Herrschaft der Nationalsozialisten. Und so hoch sie in der Kultur geschätzt wird und als Frau in einer Männerwelt Karriere macht, so hart trifft sie der Zorn der Machthaber. Der machte auch dann nicht Halt, wenn ihre Werke allgemeine Gefühle und Situationen zum Ausdruck bringen. Dies betrifft im Besonderen die Skulpturen, mit denen sie erst spät, anlässlich eines Studienaufenthaltes 1904 in Paris beginnt. Sie sind von Intensität und vom fortwährenden Ringen geprägt, bestimmte Gesten und Konstellationen weiter zu verdichten hin zum grundsätzlichen existenziellen Ausdruck. Und doch geht es bei diesen Plastiken, deren einziges Sujet der Mensch im Kontext der Familie ist, auch um Anliegen aus der sozialen und gesellschaftlichen Wirklichkeit.
Was noch in der Ausstellung deutlich wird: Käthe Kollwitz war eine begnadete Bildhauerin, welche die angemessene Form für ihre Inhalte gefunden hat. Die über Jahre anhaltende Beschäftigung mit einzelnen Motiven besonders in Ton, Gips und Bronze und Aufträgen in Stein für öffentliche Orte führen dazu, dass ihr Werk relativ überschaubar bleibt. Das Käthe Kollwitz Museum ordnet es nun und strukturiert es – mit Unterstützung von Großfotos, Textdokumenten und grafischen Blättern – in einzelne Kapitel. Höhepunkte sind die Bronze „Mutter mit zwei Kindern“ und drei Güsse des „Turmes der Mütter“, mit dem sich die Kollwitz auf den Krieg bezieht, in den die Söhne eingezogen werden. Im Nebeneinander der unterschiedlichen Guss-Versionen wird deutlich, was sie selbst zum Ausdruck bringen wollte. Zugleich wird dies von der handwerklich technischen Seite erklärt, und sogar in das Innere der Bronzeplastiken können wir schauen. Anspruchsvoll und genial.
„Käthe Kollwitz – GussGeschichte(n)“ | bis 5.6. | Käthe Kollwitz Museum in der Neumarktpassage | 0221 227 28 99
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