Am Ende eines langsamen, wundersamen Aufstiegs gleiten satte Bilder wie Blätter von herbstgelabten Bäumen. Manche tänzeln, andere haben sich und ihre Welt in Gleichmut vergessen. Auf dem Grund angekommen wartet der Anfang. Die Metapher des Erhebens und Niedersinkens prägt die kryptisch-verspielte Werkschau „scheinbar schwerelos“ von Christine Laprell und Irmgard Potthoff im Zündorfer Wehrturm. Die Künstlerinnen berühren sich dabei an losen Enden mit unterschiedlichen Ansätzen.
Die Ausstellungen im mittelalterlichen Gebäude aus dem zwölften Jahrhundert sind nichts für kurze Besuche. Wer hier einkehrt, ist noch lange nicht am Ziel. Doch die Mühen werden stets belohnt. Effektvoll kuratiert präsentieren sich die Arbeiten der Künstlerinnen auf mehreren Etagen als Begegnungen zwischen Fremden namens Reduktion und Überfluss: Schwingenartige Linien mit reichlich Platz für die Weite (Potthoff) treffen dabei auf abstrakte, dicht besiedelte, in sich gewundene, scheinbar aus dem Bild ausbrechende, nervöse Auswüchse (Laprell). In welchen Dialog könnten diese so scheinbar unterschiedlichen Stile treten – oder bleibt es bei einem kurzen, beiläufigen „Hallo“? Von wegen. Das Pulsieren, Schnaufen, Flattern, Zischen, Fließen, Wehen und Knistern dieser parallelen Mikrokosmen ist nicht zu überhören. Hier drängt der Aufgang in den Untergang, um eine neue Matrix zu schaffen. Auch die Schatten spielen Hauptrollen in einem Akt der räumlichen Ausbreitung. Dabei werden selbst die Leerstellen der Leinwände in fühlbares Nichts getunkt. Der Konvention wird hier eine deutliche Absage erteilt. So offenbart sich der experimentelle Charakter des Duos bereits in den gewählten Materialien: Tusche, Drähte, Naturobjekte, Folien, Pergamin, Acryl, Öl, Kreide oder Karton gehören zum selbstverständlichen Allerlei der Werkstoffe. Mit dem zusätzlichen Fluten durch Texte, etwa Arno Schmidts erotischer Erzählung „Seelandschaft mit Pocahontas“ aus dem Jahr 1953, vertieft Laprell den Wasserpegel eines Weltmeeres aus rätselhaften Codes und klaren Zeichen. Die inspirierende Ausstellung ist auch für Nichtschwimmer zu empfehlen.
Christine Laprell, Irmgard Potthoff: scheinbar schwerelos | bis 30.6. | Mi & Sa 15-18 Uhr, So 14-18 Uhr u. n. V. | Zündorfer Wehrturm | www.zuendorfer-wehrturm.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Die Kunst der Keramik
Young-Jae Lee im Hetjens in Düsseldorf
Unser Körper in Schichten
„Körperwelten & Der Zyklus des Lebens“ in Köln
Tage des Schlafwandelns
„Übergänge des Willens“ im KunstRaum St. Theodor – Kunstwandel 07/24
Fokussierte Atmosphäre
Der amerikanische Maler Étien in der Apern Galerie
Vielfalt der Drucktechniken
20. Internationale Grafik-Triennale Frechen
Suche nach Menschlichkeit
Burkhard Mönnich in der Galerie Martinetz – Kunst 05/24
Steigen, Verweilen, Niedersinken
Nadine Schemmann mit zwei Ausstellungen in Köln – Kunstwandel 05/24
Auf Papier, gedruckt
Thomas Schütte in Neuss
Das Verbot, sich zu regen
„Es ist untersagt ...“ von Frank Überall im Gulliver – Kunstwandel 04/24
Makroproteste in der Mikrowelt
Agii Gosse in der Galerie Landmann-31 – Kunstwandel 03/24
Expansion in die Löwengasse
Kunstraum Grevy eröffnet Pop-Up-Store „Grevy Satellite“ – Kunst 02/24
Faszination für krumme Linien
Julja Schneider im Maternushaus – Kunstwandel 02/24
Alle sind älter
Porträts über das Alter in der Photographischen Sammlung im Mediapark – kunst & gut 06/24
„Welche Wahrheit trauen wir Bildern zu?“
Kurator Marcel Schumacher über „Ein Sommer in vier Ausstellungen“ im Kunsthaus NRW in Aachen – Interview 06/24
Anpassung und Eigensinn
„1863 – Paris – 1874: Revolution in der Kunst“ im Wallraf-Richartz-Museum – kunst & gut 05/24
Berührungsängste verboten
„Memory is not only past“ in der ADKDW – Kunst 04/24
Zauber der Großstadt
Nevin Aladağ im Max Ernst Museum Brühl des LVR – kunst & gut 04/24
Ein König schenkt
Schenkungen von Kasper König an das Museum Ludwig – kunst & gut 03/24
Aufscheinende Traditionen
Helena Parada Kim im Museum für Ostasiatische Kunst – kunst & gut 02/24