Vor vier Jahren war bei der Ruhrtriennale Strawinskys Ballett „Le Sacre du Printemps“ zu sehen. Es standen allerdings keine Tänzer auf der Bühne, sondern Maschinen, die im Takt der Musik sich drehten und Staub ausspien. Der Mensch durfte am Ende den Dreck zusammenkehren. Sybille Berg, unser Lieblingscovergirl der ironischen Postmoderne, hatte schon immer ein Faible für die menschliche Unzulänglichkeit. Der Mensch ist das Wesen, das daran arbeitet, sich selbst abzuschaffen: So wie die Demokratie selbst noch ihre Feinde aufpäppelt wie die AfD, so hat der homo sapiens sich eine Technologie erschaffen, mit der er sich selbst überflüssig macht. Deshalb lässt Sibylle Berg in ihrem Stück „Wonderland Ave.“, das Ersan Mondtag am Schauspiel Köln inszeniert, das animal triste, das sich Mensch nennt, unter den Tisch der Effizienz fallen. Maschinen haben das Sagen, weil ihre Erschaffer zu nichts mehr zu gebrauchen sind. Die Arbeit erledigen all die Homunculi der künstlichen Intelligenz weit ressourcenschonender, ökologischer und effizienter. Das Humankapital dagegen wird in der Wellnessanlage „Wonderland Avenue“ auf sein baldiges Ende vorbereitet. Der verordnete Sport dient allerdings nicht mehr der Ertüchtigung, sondern der Erinnerung an alte Konkurrenzkämpfe und Ideen der Selbstoptimierung. Doch selbst dazu ist der Mensch nicht geschaffen. Er grübelt, verfällt in Melancholie: Gibt es ein Sein außerhalb der Produktivität? Vermutlich nicht. Sibylle Berg macht sich ein paar Gedanken zur Arbeitsgesellschaft der Zukunft und kommt zu der traurigen Feststellung, dass der Mensch eigentlich nicht mehr gebraucht wird. Die Planeten drehen sich auch weiter, ohne dass jemand über sie sinniert, sie vermisst und zerstört.
Miguel de Cervantes berühmter Roman „Don Quijote“ von 1605/15 könnte nicht weiter von dieser auf Effizienz und Produktivität getrimmten Welt entfernt sein – oder vielleicht seine Erfüllung. Das Abenteurertum des Titelhelden entspringt seinem Müßiggang und seiner Lust an Ritterromanen. Seine Fantasiewelt hat mit den Zeitläufen nichts zu tun, sondern könnte als Beschäftigungsprogramm beschrieben werden, das mit alten abgelebten Begriffen wie Ehre, Respekt, Liebe noch ein bisschen Sinn in eine Existenz zaubern will, die weitgehend sinnlos ist. Da ist es durchaus gleichgültig, dass der Knappe Sancho Pansa und die Angebetete Dulcinea beide Bauern sind. Don Quijote biegt sich die Realität mit seiner eigenen Ritter-Wirklichkeit zurecht. Hammelherden, Windmühlen, Weinschläuche – die Feinde lauern überall. Der zweite Teil des Romans ist selbstreferentielle Literatur at its best. Nun begegnet Don Quijote nämlich Widersachern, die den ersten Teil des Romans gelesen haben und wissen, wer vor ihnen steht. Simon Solberg hat am Kölner Schauspiel Köln bereits „Kabale und Liebe“ oder „Cyrano de Bergerac“ inszeniert und weiß, wie man einen Klassiker zum Laufen bringt.
„Wonderland Ave.“ | R: Ersan Mondtag | 8.6. | Schauspiel Köln | 0221 221 284 00
„Don Quijote“ | R: Simon Solberg | 30.5. | Schauspiel Köln | 0221 221 284 00
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Flucht auf die Titanic
„Muttertier“ am Schauspiel Köln – Prolog 03/24
Parolen in Druckerschwärze
„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ am Schauspiel Köln – Auftritt 03/24
„Es wird ein Kampf um Vormachtstellung propagiert“
Rafael Sanchez inszeniert „Die letzten Männer des Westens“ am Schauspiel Köln – Premiere 03/24
Dunkle Faszination
Franz Kafkas „Der Prozess“ am Schauspiel Köln – Auftritt 02/24
Wiederholungsschleife
„Soko Tatort“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 02/24
Standbein und Spielbein
Pinar Karabulut und Rafael Sanchez gehen nach Zürich – Theater in NRW 01/24
„Der Roman lässt mich empathisch werden mit einer Mörderin“
Regisseur Bastian Kraft über „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ – Premiere 01/24
Ein Martyrium der Erniedrigung
„Kim Jiyoung, geboren 1982“ am Schauspiel Köln – Auftritt 12/23
Ohne Opfer kein Krimi
„Soko Tatort“ am Schauspiel Köln – Prolog 12/23
Ende der Zivilisation
„Eigentum“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 11/23
Verliebt, verlobt, verlassen?
„Erstmal für immer“ am Schauspiel Köln – Prolog 10/23
Des Königs Tod und des Müllers Beitrag
„Yazgerds Tod“ am Schauspiel Köln – Auftritt 10/23
Tanzen gegen Rassentrennung
„Hairspray“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 11/24
Biografie eines Geistes
„Angriffe auf Anne“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 11/24
Selbsterwählte Höllen
„Posthuman Condition“ am FWT – Theater am Rhein 11/24
„Die Hoffnung muss hart erkämpft werden“
Regisseur Sefa Küskü über „In Liebe“ am Orangerie Theater – Premiere 11/24
Kampf gegen Windmühlen
„Don Quijote“ am Theater Bonn – Prolog 11/24
Die ultimative Freiheit: Tod
„Save the Planet – Kill Yourself“ in der Außenspielstätte der TanzFaktur – Theater am Rhein 10/24
Die Maximen der Angst
Franz Kafkas „Der Bau“ in der Alten Wursterei – Theater am Rhein 10/24
Keine Macht den Drogen
„35 Tonnen“ am Orangerie Theater – Prolog 10/24
Wenn das Leben zur Ware wird
„Hysterikon“ an der Arturo Schauspielschule – Prolog 10/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Spam, Bots und KI
„Are you human?“ am Theater im Bauturm – Prolog 10/24
Die KI spricht mit
Franz Kafkas „Der Bau“ in der Alten Wursterei in Köln – Prolog 10/24
„Das Ganze ist ein großes Experiment“
Regisseurin Friederike Blum über „24 Hebel für die Welt“ in Bonn und Köln – Premiere 10/24