Thomas Kreimeyer bietet Kabarett der besonderen Art. Er hat kein Programm, das er im stillen Kämmerchen in stundenlangem Nachdenken entwickelt hat. Nein, er geht einfach auf die Bühne und unterhält sich mit den Gästen. Das heißt, er stellt Fragen nach ihrem Beruf, ihren Hobbies, ihrer Familie und greift die Antworten auf, hinterfragt, ironisiert, verdreht, kombiniert und überhöht diese in einer Art und Weise, dass das Publikum in schallendes Gelächter ausbricht. Und es funktioniert.
Eine der ersten Fragen bei seinem Auftritt im Atelier Theater lautete, was die Gäste über sein „Kabarett der rote Stuhl“ wüssten. Eine Frau offenbarte, sie habe gehört, er rede mit dem Publikum und so. Thomas Kreimeyer stürzt sich auf das „und so“, erklärt, dass dies die eigentliche Würze des Abends sei. Im weiteren Verlauf bekam das Publikum einen guten Eindruck, was damit gemeint ist. Eine Besucherin wurde zur Steilvorlage, weil sie ihre Brille aufsetzte. „Jetzt interessierte es sie auf einmal“, folgert Kreimeyer messerscharf. „Ist das Ihre Gattin“, wird der Herr daneben gefragt. Dieser, nicht ganz charmant: „Die ist kurzsichtig.“ Das Publikum wiehert. Und Kreimeyer setzt sich genussvoll drauf: „Man ahnt schon, was da am Standesamt abgelaufen ist.“ Mehr Gelächter. „Der Satz ‚die ist kurzsichtig‘ fiel schon ganz früh in der Ehe und wird seitdem beinhart durchgezogen.“ Das Publikum liegt am Boden vor Lachen. So geht es im Minutentakt weiter.
In seiner Vita karikiert Thomas Kreimeyer seine Redegewandtheit folgendermaßen: „In der Abiturklausur im Fach Philosophie sollten wir von Jürgen Habermas‚ Erkenntnis und Interesse mit astrophysikalischen Weltentstehungsmodellen vergleichen. Ich schaffe es, meine Ratlosigkeit sprachgewandt zum Ausdruck zu bringen. Immerhin.“ Presseartikel loben seine Improvisationskunst, sein Wortspiel und seinen flexiblen Umgang mit den Gästen. Nicht zuletzt deshalb hat er bereits zahlreiche Kleinkunstpreise gewonnen. Auch in den WDR-Mitternachtsspitzen war er zu sehen. Regelmäßig tourt der in Wiesbaden Lebende durch Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Doch so furios die Show begonnen hat, so überraschend stößt sie auch an ihre Grenzen, steht der humorige Fortgang auf einmal auf des Messers Schneide. Eine Dame, von Kreimeyer ob ihres die Vorteile von Hotel Mama weidlich in Anspruch nehmenden Sprösslings durch den Kakao gezogen, weigert sich auf einmal, ihren Beruf preiszugeben. ‚Vermutlich ist sie Kinderpsychologin‘, denkt der Beobachter. ‚Oder Erzieherin.‘ Doch kurz darauf verweigert eine weitere Besucherin die Kooperation: „Das sage ich nicht, sonst verarschen Sie mich die ganze Zeit.“
Diese – nicht ganz unbegründete – Befürchtung nimmt Thomas Kreimeyer zum Anlass einer Grundsatzrede. Es gehe bei seinem Stehgreif-Programm nicht darum, jemanden zu verarschen. Wenn dieser Verdacht entstünde, würde er sofort aufhören. Vielmehr wolle er mit seinen Gästen ins Gespräch kommen, um gemeinsam mit ihnen über den Unbill des Seins zu lachen. Das kommt an. Dennoch kann nicht ganz von der Hand gewiesen werden, dass er sich mit Verve auf jeden Versprecher, jede Unsicherheit, jedes Hüsteln seiner Auserkorenen stürzt und diese lustvoll seziert. Doch es geht nicht darum, über jemanden, sondern das Menschliche an sich zu lachen. Das begreifen alle und freuen sich, dass das humoristische Feuerwerk weitergeht.
Eine Biologielehrerin verleitet mit Aussagen über den Sexualkundeunterricht in der 4. Klasse zum Gelächter, die Logistikmitarbeiterin eines Chemiekonzerns mutiert zur Drogendealerin und der Versicherungsmakler darf künftig bei Lebensversicherungen das Mordrezept gleich mitliefern. Die Sportgerontologin lässt ihre Alten über den Krückstock springen und der Buchhalter muss den ganzen Tag Bücher halten. Oder Ordner. Oder so.
Ein besonderes Utensil ist – neben dem roten Stuhl – die Eieruhr, die Thomas Kreimeyer zu Beginn der Vorstelllung demonstrativ stellt. Eingeweihte wissen: Das macht er jedes Mal. Sobald die Eieruhr läutet, ist die Show vorbei. Insofern gleicht das Stellen der Eieruhr einem Ritual. Variatio delectat: Diesmal klingt die Eieruhr nicht. Auch darüber kann man lachen.
Thomas Kremeyer | Sa 22.9., Sa 27.10. 20.30 Uhr | Atelier Theater | 0221 24 24 85
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