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Kabarettistin und Autorin Lisa Eckhart
Foto: Franziska Schrödinger

Was man sagen darf

12. August 2020

Lisa Eckhart und die heißen Eisen – Bühne 08/20

Ihr Auftritt ist furchteinflößend: die körperliche Größe und Hagerkeit, die metallen gefärbten Haare, die extravaganten und androgynen Kostüme. Nicht zu vergessen die langen, spinnenbeinartigen, künstlichen Krallen. Auf die Frage, ob sie eine Kunstfigur auf die Bühne bringe, antwortet Lisa Eckhart, sie müsse auf solch eine dümmliche Frage aggressiv reagieren: Natürlich nicht! Ob sie dann privat Freunde habe? Nein, das ginge ja gar nicht! Hier werden schon die Grenzen des Sarkasmus-Verständnisses ihres Interviewpartners deutlich, der sich selbst angegriffen fühlt.

Aktuell steht Eckhart wegen eben solcher „Angriffe“ noch stärker als sonst im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. In wenigen Tagen, am 17. August, soll ihr Erstlingsroman „Omama“ erscheinen. Von einer Lesung, die sie beim Harbour Front Literaturfestival in Hamburg als Anwärterin für den Klaus-Michael-Kühne-Preis halten sollte, wurde sie nun jedoch ausgeladen. Erst wollten zwei andere Jungautoren nicht mit ihr gemeinsam in einer Tandemlesung auftreten, dann erhielten die Veranstalter, der Hamburger „Nochtspeicher“, Warnungen aus der Nachbarschaft. Verleger Nikolaus Hansen gibt an, man habe sich vor Protesten des schwarzen Blocks gefürchtet und sei sich aus einschlägiger Erfahrung heraus sicher, dass die Veranstaltung gesprengt werden würde.

Gnadenloses Aussprechen

Vorgeworfen wird der 28-jährigen Österreicherin die Bedienung antisemitischer Klischees. Der unsichtbare und blinde Mob beruft sich hier auf eine zwei Jahre alte Aufzeichnung eines Auftritts Eckharts bei den Mitternachtsspitzen im WDR, in der sie die Vorwürfe der „Metoo“-Bewegung gegen drei Persönlichkeiten (Weinstein, Polanski und Allen) auf antisemitische Klischees bezieht: „Juden, da haben wir immer gegen den Vorwurf gewettert, denen ginge es nur ums Geld, und jetzt plötzlich kommt raus, denen geht’s wirklich nicht ums Geld, denen geht’s um die Weiber, und deshalb brauchen sie das Geld.“ Der vierminütige Clip, der den Kontext dazu liefert, findet sich mit dem Titel „Die heilige Kuh hat BSE“ auf dem YouTube-Account des WDR.

Lisa Eckhart spricht schon immer jeden noch so undenkbaren Gedanken aus, der sonst bei den meisten Menschen die inneren Filter nicht passieren würde. Ob es nun um Sexismus, Antisemitismus, Schwulenfeindlichkeit oder Rassismus geht, keine Assoziation wird ausgelassen. Sie provoziert, ist mitunter bildlich brutal und trägt dazu noch eine derartige wienerische Arroganz nach außen, dass so mancher Zuschauer sich allein davon schon abgestoßen fühlen mag. Und doch bleibt der Blick an diesem gnadenlos zur Schau gestellten Körper hängen, und nach ein paar Minuten lässt man sich von ihrer exaltierten Sprache mit dem genuschelten Akzent umgarnen, nur um von Eckharts nächster böser Idee umso härter getroffen zu werden. Aufgrund ihrer Herkunft schreckt sie dabei auch nicht davor zurück, sich kokettierend mit Hitler zu vergleichen.

Darf man lachen? Ja!

Eckhart selbst sagt, sie brauche das Publikum, um jeden Preis, das „Cabaret“ sei mehr Mittel zum Zweck. Und das Publikum scheint auch sie zu brauchen, brutale Ehrlichkeit ist gefragt; auch wenn man sich dann manchmal nicht recht traut zu lachen und erst von Eckhart selbst dazu aufgefordert werden muss. Was darf man noch sagen im Kabarett, welcher Humor ist noch erlaubt? Diese und ähnliche Fragen werden von der Cancel Culture, die derzeit hoch im Kurs steht, einfach beantwortet: Das jedenfalls nicht. Und wer mit der Aussätzigen Eckhart zusammen auftritt, den trifft die Kontaktschuld. Doch die wahre Faktenlage ist weitaus komplizierter.

Was viele Mitläufer sich sparen, ist die gründliche Sichtung aller Details, und auch wenn dies aufwändig und anstrengend ist, so ist es doch dringend notwendig –  siehe andere zweifelhafte Beispiele wie J.K. Rowling oder Roman Polanski. Zweifelhaftigkeiten sind jedoch nicht mehr erlaubt, und aus Angst will man sich dann lieber schon vorsorglich distanzieren und wird so Teil der Maschinerie. Die Betreiber des „Nochtspeicher“ sagen, sie begrüßen diese Debatte, doch wäre es nicht an ihnen, sich gar nicht erst vom Mob einschüchtern zu lassen? Nicht aus Angst vor der Cancel Culture bereits zu ihrem Opfer zu werden?

Und dieses „Gespenst“ geht auch auf der anderen Seite um: Mit Sascha Reh zieht sich der erste Autor ebenfalls vom Festival zurück, in diesem Fall wegen des Ausschlusses Eckharts.

Kunst- und Meinungsfreiheit

Der Inhalt des kritisierten Clips lässt sich mit Eckharts Worten so zusammenfassen: „Was tun, wenn die Unantastbaren beginnen, andere anzutasten?“ Klischees bedient sie nicht, sie holt sie unverblümt an die Oberfläche, um sie zu entlarven. Um den Publizisten Henryk M. Broder zu zitieren, der sie als Leidtragende einer grassierenden Political Correctness sieht: „So etwas sagt man doch nicht, so etwas sollte man nicht mal denken.“

Viele Künstler und Kulturschaffende, darunter Dieter Nuhr und die Vorsitzende des PEN-Verbandes, Regula Venske, beziehen hinter Eckhart und hinter der Kunstfreiheit Stellung. Kabarett muss alles hinterfragen (dürfen), alles kritisieren, keine Unterschiede machen. Eckhart selbst schweigt zu den Vorgängen öffentlich, ein Zugeständnis des Nochtspeicher-Teams, per Videoschalte zu lesen, schlug sie vor Kurzem aus. In einem älteren Interview zur Veröffentlichung ihres Romans sagt sie jedoch: „Und natürlich darf ich auf Bühnen alles sagen, was ich will. Schlimmer noch, ich muss es sogar. Was ich nicht darf, ist nichts zu sagen.“

Lesung „Omama“, RheinBühne-Festival 2020 | Mi 2.9. 20 Uhr | Brückenforum, Bonn
Prix Pantheon Finale (Kurzauftritt) | Mi 14.10. 19 Uhr | Pantheon Bonn
Die Vorteile des Lasters | So 17.1. 19 Uhr | Opernhaus Bonn

Rosanna Großmann

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