Bereitet uns die Schule adäquat auf das Leben vor? Oder haben wir stattdessen vieles gelernt, was wir wieder vergessen, weil wir es nicht brauchen? Joyce Ilg und ihr Kollege Chris Halb12 geben mit ihrem Ratgeberbuch für junge Leute „Hätte ich das mal früher gewusst!: Was man wirklich im Leben braucht, aber in der Schule nicht lernt“ eine klare Antwort und versuchen in einer direkt an die Leser gewandten Form Lebenswissen zu vermitteln. Joyce ist eine ausgebildete Schauspielerin, die sich kreativ und erfolgreich ihren eigenen Weg bahnt zwischen Film, Fernsehen, Videoproduktion, Moderation und nun mit ihrem Buch. Auf Netflix ist sie neben Eko Fresh in der Serie „Blockbustaz“ zu sehen, ihr eigener YouTube-Kanal hat 1,2 Millionen Abonnenten.
choices: Joyce, wie muss man sich deinen Alltag als Schauspielerin zwischen Beruf und Hobbys vorstellen?
Joyce Ilg: Bei mir mischen sich Hobbys und Beruf, weil ich die Sachen beruflich mache, die ich sehr, sehr liebe. Deswegen ist eine Trennung zwischen Arbeit und Freizeit gar nicht so richtig möglich – muss auch nicht sein, weil es extrem viel Spaß macht. Ich liebe es, was Neues zu machen, neue Dinge zu entdecken, weiterzulernen.
Was ist im Moment dein Lieblingsprojekt?
Natürlich mein Buch! Auf meinem YouTube-Kanal mache ich ja bisher ausschließlich Comedy. Das habe ich angefangen, weil es mir einfach sehr viel Spaß gemacht hat, und dann rutscht man in so eine Vorbildfunktion rein, ohne das natürlich geplant zu haben. Und dann merkt man, da sind ganz viele Leute, die gucken, was man macht und wie man sein Leben lebt. Dann kam eben diese Idee, dann könnte man doch diese Vorbildfunktion mal nutzen und den Leuten was mit auf den Weg geben. Deswegen ist das im Augenblick das größte Herzensprojekt, das ich je hatte.
Mit deiner Comedy setzt du unter anderem bei der Verlogenheit an.
Du meinst dieses „Wenn Menschen nicht lügen würden“-Format. Ich bin eigentlich sehr ehrlich, jedenfalls meistens, und nicht jeder kann damit gut umgehen. Unsere Gesellschaft ist natürlich in gewisser Weise angepasst, und Höflichkeit hat vielleicht auch manchmal was mit Anpassung zu tun. Ich bin auch ein höflicher, freundlicher Mensch. Trotzdem fänd‘ ich’s cool wenn man manchmal einfach ehrlicher miteinander umgehen würde. Ich glaube, das würde einen viel weiterbringen als immer nur Sachen zu denken und nicht zu sagen.
Du wirfst der Schule vor, dass sie angepasste und hierarchisch vortrainierte Menschen hervorbringt. Woran machst du das fest?
Zum Beispiel daran, dass ich mich mit vielen Schülern, Eltern, Lehrern ausgetauscht habe und mir selbst Lehrer gesagt haben, dass im Studium den Lehrern schon beigebracht wird, dass sie den Kindern abtrainieren Fehler zu machen. Dabei sind Fehler ja nicht grundsätzlich schlecht. Eigentlich müsste man viel mehr den Kindern vermitteln: Fehlermachen ist voll OK, aus Fehlern lernt man. Es ist schwierig, wenn man den gleichen Fehler immer und immer wieder macht – dann müsste man vielleicht sagen: „Hey, da musst du mal was ändern.“ Aber grundsätzlich finde ich das Fehlermachen total wichtig und auch, dass das akzeptiert wird.
Gab es schon Feedback von Lehrern, seit du dich auch schon auf YouTube mit dem Video „Schule – Was tust du uns an?“ mit dem Thema beschäftigst? Was glaubst du, wie sie auf euer Buch reagieren werden?
Ich bin total gespannt. Das Feedback bisher war so, dass ein paar Lehrer sich auch persönlich angegriffen geführt haben, die sagen: „Eigentlich bin ich doch so ein motivierter Lehrer“, ich solle nicht so generell die Lehrer bashen – aber ich glaube da hatte ich mich ein bisschen missverständlich ausgedrückt mit dem Video, denn ich meinte eigentlich gar nicht alle Lehrer, sondern nur die Lehrer, die eben nicht motiviert sind oder einfach keinen Bock auf ihren Job haben, und nicht die, die motiviert sind, denn für die bin ich ja sehr dankbar. Und dann gab es wiederum andere Lehrer, die das unterschrieben haben, die gesagt haben: „Genau so ist es und da muss sich was ändern“, und die auch selber sagen, dass viele Lehrerkollegen nicht so engagiert sind und das schade finden.
Wie stehst du denn zu der „Fridays for Future“-Bewegung, wo die Schüler trotz Schule ihren eigenen Kopf haben?
Grundsätzlich ist es immer schwer zu sagen: „Ich find’s gut, dass die ‚blau machen‘.“ Ich find’s aber gut, dass die Leute sich ein bisschen wehren gegen die Gegebenheiten und sagen, hey, meine Meinung ist auch wichtig. In den vergangenen Jahren hatte man oft das Gefühl oder zumindest habe ich es oft gehört: „Ja, die Jugend interessiert sich ja gar nicht für Themen wie Politik“, oder ältere Leute haben gesagt: „Wir sind damals auf die Straße gegangen, die jungen Leute machen das gar nicht mehr.“ Ich finde cool, dass die Leute jetzt sagen, wir möchten selbst was in Bewegung bringen, wir haben auch eine Stimme, wir haben auch Möglichkeiten, und das finde ich total wichtig.
Was ist für dich das wichtigste Kapitel, wo du persönlich sagst, das hätte ich wirklich gern früher gewusst?
Da sind viele wichtige Kapitel für mich drin, das sind eigentlich alles Themen, wo ich sage, boah, das hätte ich total gerne früher gewusst. Ob das die Bedeutung von Ernährung ist – hört sich jetzt blöd an, aber ich bin nicht mit der besten Ernährung aufgewachsen – wie wichtig das ist, womit man seinen Körper füttert, ob es das Gehirn ist, mit Wissen, oder der der Körper, damit er auch langfristig gesund bleibt. Das sind Sachen, die hätte ich gerne früher gelernt und früher verinnerlicht. Mich gesund zu ernähren, das habe ich erst sehr spät gecheckt und umgesetzt. Und beim Kapitel zur Kommunikation: Viele Sachen habe ich schon intuitiv so gemacht, aber ich wusste gar nicht genau, was dahintersteckt oder wie lösungsorientierte Kommunikation wirklich funktioniert. Seit ich mich mehr damit auseinandergesetzt habe, konnte ich das noch verfeinern und viel bewusster damit umgehen – was einem viele Türen öffnet. Und natürlich das Basiskapitel, das erste Kapitel handelt von Persönlichkeitsentwicklung und Mindset – wer bin ich überhaupt?
Was meinst du mit Mindset?
Wie ist mein Verhalten geprägt, warum verhalte ich mich so, wie ich mich verhalte. Bei den meisten Sachen denkt man einfach: „So bin ich und das ist meine Meinung“, und deshalb verhalte ich mich so. Aber wo das alles wirklich im Ursprung herkommt, das war mir nicht so bewusst. Ich habe früher sogar teilweise gedacht: „Ach, die Psychologen sagen immer die Kindheit, die hat ja so große Auswirkungen auf später.“ Ich hatte mich aber nicht genug mit dem Thema auseinandergesetzt, um zu verstehen, dass das wirklich so ist! Kinder nehmen ja Dinge wirklich noch ungefiltert auf, die haben am Anfang des Lebens noch nicht diese Reflektion, und durch das ungefilterte Aufnehmen werden schon Glaubenssätze in ihnen unbewusst festgesetzt. Teilweise war die Recherche für das Buch, die schon über Jahre ging, wie eine Art Selbsttherapie für mich, wo ich erstmal gecheckt habe, warum ich mich in diesen Situationen immer so und so verhalte. Wie kann ich das vielleicht auch ändern? Oft bemerkt man ja auch bei anderen Menschen, dass die sagen: „Boah, ich mach‘ das immer wieder! Warum!?“ Wenn man da gewisse Dinge verstanden hat, dann kann man auch was verändern und glücklicher werden.
Braucht man dafür Ziele?
In gewissem Rahmen – bei jedem sehen die ja auch anders, größer oder kleiner aus. Ich persönlich bin gar nicht der Typ, der sich richtig konkrete Ziel steckt – zumindest in Verbindung mit Erwartungshaltung, sagen wir es so. Denn wenn ich jetzt sage, ich möchte das und das unbedingt erreichen, und man ist so ganz verbissen bei der Sache, dann hat man ja auch die Erwartung schon sehr hoch gesteckt und wird dann eher enttäuscht, wenn nicht genau das so eintrifft – wenn man vielleicht nur bis dahin kommt und nicht bis hierhin. Deswegen ist es, glaube ich, ganz wichtig gewisse Ziele zu haben und zu sagen, da würde ich mich mega freuen, wenn das klappt, aber nicht: Das *muss*, damit ich glücklich bin, und wenn das nicht passiert, dann bin ich nicht glücklich. Ziele sind grundsätzlich gut, aber man sollte sie mit einer gewissen Leichtigkeit verfolgen.
Joyce Ilg, Chris Halb12: Hätte ich das mal früher gewusst!: Was man wirklich im Leben braucht, aber in der Schule nicht lernt | Rowohlt | 304 S. | 12 €
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