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Foto (Ausschnitt): Annette Mück

Inmitten des Schweigens

30. Oktober 2025

„Aga“ von Agnieszka Lessmann – Literatur 11/25

Aga hat mehr als einen Namen und damit mehr als eine Identität – je nachdem, wo sie lebt. Als sie in Polen aufwuchs, war sie Agnieszka, als ihre Eltern mit ihr nach Israel gingen, wurde sie zu Ilana, als die Familie nach Deutschland zieht und Aga dort zur Schule geht, wird ihr Vorname zu Agnes. Neben den Ortswechseln und den jeweils neuen Gepflogenheiten muss Aga auch mit dem Schweigen umgehen, das sie umgibt. Traurige Blicke begleiten Besuche bei Freunden der Eltern, vieles bleibt unausgesprochen. Nach und nach wird klar, dass ihre Eltern den Holocaust überlebt haben, der Vater erzählt irgendwann von ein paar Momenten aus Buchenwald und Theresienstadt. Vor allem aber schweigen diejenigen, die diese Zeit miterlebt haben, während die Kinder die Last zwar nicht begreifen, doch spüren können.

Lessmann nimmt in ihrem autobiografisch geprägtem Romandebüt die Perspektive einer Heranwachsenden ein, die mit Gleichaltrigen ihre eigenen Theorien entwickelt, was damals geschah. Lesende können Stück für Stück nachvollziehen, wie Aga immer mehr Zusammenhänge versteht. In ihren Worten: „Ich habe diese, meine eigene Geschichte selbst erfahren, wie man etwas aus Stoffresten zusammensetzt. Stück für Stück. Lange Zeit habe ich bloße Fetzen in Händen gehalten und nicht gewusst, wie sie aneinanderpassen sollen. Das Garn, das sie zusammenhält, habe ich erst sehr viel später gefunden.“

Eine Aufklärung der jüngeren Generation findet noch kaum statt, da die Überlebenden die Sprache dafür nicht finden. Dennoch gibt es das Wissen um eine grauenvolle Vergangenheit: In Deutschland würden „die Mörder“ leben, sagt ein Freund von Aga, als sie ihm von den Umzugsplänen erzählt. Als es schließlich eine Fernsehausstrahlung zum Holocaust gibt, setzt der Vater Aga vor den Bildschirm und lässt sie damit alleine, da er selbst es nicht erträgt. Es ist eine einfühlsame Erzählung, die zugleich ergründet, wie Traumata fortleben. Lediglich einige Passagen am Ende wirken lose als Epilog zusammengestellt und über einen nicht mehr sostarken roten Faden mit dem Hauptteil verbunden. Seine Hauptbotschaft hat das Buch an dieser Stelle längst vermittelt.

Aga | Deutsche Originalausgabe | Gans Verlag | 242 S. | 24 Euro

Melanie Schippling

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