Kann man eine Ausstellung über Digitalisierung machen oder ist diese so sehr mit unserer heutigen Lebenswirklichkeit verschmolzen, dass automatisch gesellschaftliche Momentaufnahmen entstehen? Dieser Thematik widmete sich am ersten Novemberwochenende eine Gruppenausstellung von Jungekunstfreunde im bunker k101 in Ehrenfeld.
Der Ausstellungsort stand im Kontrast zum Inhalt: Im Bunker gibt es keinen Handyempfang – man ist für eine Weile von der Außenwelt abgeschottet und ist doch mit ihr konfrontiert. Der Ansatz der Ausstellungsmacher, an einem realen Ort zusammenzukommen und die Arbeiten mit eigenen Augen zu sehen, funktionierte: Die Ausstellung war extrem gut besucht, teilweise ging man zum Luftschnappen vor die Tür: „Ist gerade zu voll.“ Das Bedürfnis nach Zusammenkunft und direktem Austausch im digitalen Zeitalter scheint also groß zu sein.
Die Arbeiten wirkten auf der einen Seite bunt zusammengewürfelt – auf der anderen Seite wurde hierdurch deutlich, wie unterschiedlich man sich dem von Digitalisierung durchdrungenen Leben künstlerisch nähern kann.
Simon Baucks, Student an der KHM, widmete sich in seiner 3-Kanal-Videoinstallation „Notizen des Alltäglichen“ der Seite des Privatlebens, die man vermeintlich abseits von sozialen Medien verbringt und die doch so sehr durch den Rhythmus einer digitalisierten Welt geprägt ist: Eine junge Frau zeigt ihrem Freund via Skype ihre neue WG und erzählt wie ihr Alltag nun aussieht. Immer wieder sieht man Aufnahmen vom Kölner Hauptbahnhof und Zügen, die räumliche Distanz suggerieren. Ein anderes Paar liegt zwar zusammen in einem Bett, doch ihre Bemühungen, den schlafenden Freund zu berühren, scheitern. In einer weiteren Sequenz arbeitet ein Paar an unterschiedlichen Orten; in der Mitte der Installation sieht man Erinnerungen an gemeinsam verbrachte Tage.
Die Bildkompositionen schaffen eine Atmosphäre von Beziehungen junger Menschen, die durch Einsamkeit geprägt ist. Das wird an der räumlichen Trennung deutlich, die oftmals durch die zunehmende Forderung nach Flexibilität begründet ist. Aber auch die reale Zusammenkunft bedeutet nicht zwangsläufig, dass man weniger allein ist, wie man bei dem Paar sieht, das zusammen im Bett liegt und trotzdem nicht in Kontakt treten kann.
Im Gegensatz zu Baucks’ Hinwendung zum Privaten beschäftigt sich der Konzeptkünstler Andy Kassier mit dem Bereich der öffentlichen Selbstdarstellung: In seinen Fotoarbeiten inszeniert er sich via Photoshop als superreicher Geschäftsmann im Bademantel und Champagner-trinkend am Meer oder auf der Terrasse einer imposanten Stadtvilla. Seine Kunst funktioniert besonders gut auf Instagram, wo er seine Fotos mit den passenden Hashtags (goals, success, unstopable) versehen kann. Obwohl er auf allen Fotos zu sehen ist, geht es vielmehr um die Attribute, die Reichtum und Erfolg repräsentieren, als um ihn selbst: Die Person bzw. die Figur Andy Kassier bleibt einem trotz der vielen Abbilder völlig fremd.
Die Arbeit „(De-)Constructing Terrorism“ von Luzie Bayreuther, Absolventin der Design Academy Eindhoven, wirkt auf den ersten Blick wie ein hippes Musikvideo, in dem sich Ausschnitte von Rapvideos mit Videospielaufnahmen abwechseln. Erst beim genaueren Betrachten bemerkt man das Zusammenspiel von populär-kulturellen Bildwelten und Terrorismus, welches sie in dieser Arbeit untersucht: Das Video bildet die Basis für das Brand Design einer fiktiven sozialistischen Terrororganisation, der SA (Socialist Action).
Die Entscheidung, die Ausstellung für nur 72 Stunden zu organisieren, passt nicht nur zu der Schnelllebigkeit unserer heutigen Gesellschaft, sondern hat auch eine zahlreiche und intensive Zusammenkunft von kunstinteressieren Menschen ermöglicht.
72-Stunden – Eine Momentaufnahme | 3.-5.11. | bunker k101, Ehrenfeld | www.museumsfreunde-koeln.de/programm/2019/
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