„Bubi“ muss sich der junge Petrell nennen lassen, und Irene wird, wenn es hart auf hart geht, zu „Püppi“. Die Kosenamen sind nicht nett gemeint in Ferdinand Bruckners Stück „Krankheit der Jugend“, in dem sieben Studenten in den emotionalen Nahkampf gehen. Der moralinsaure Titel gibt dabei die Richtung vor: Die jungen Menschen von heute haben nichts als Sex, Psychofallen, emotionale Ausbeutung im Kopf, sind orientierungslos, ohne Zukunftswillen. „Heute“, das heißt hier 1926.
Bruckners Stück ist eine Art Jugend-„Reigen“, allerdings ohne die gesellschaftliche Schärfe und strenge Mechanik von Schnitzlers Vorbild. Volker Lippmanns Inszenierung im Theater Tiefrot konzentriert die Aufmerksamkeit ganz auf Dialoge und Haltungen. Da ist die junge Marie (Celina Engelbrecht), die gerade ihr Medizinexamen macht und von ihrem Lover Petrell genervt mit Desiree (Lucia Schulz) ins Bett geht. Auf einer nur mit drei Holzelementen dekorierten Bühne gehen die beiden richtig in den Clinch – Lust, Langeweile und Neugier halten sich Waage. Genervt von den Männern sind sie beide: Vor allem von Freder (Eric Carter) im roten Anzug, der sein Machtmenschengehabe als Psychodesign vor sich herträgt. Mit Kraftmeiersprüchen unterwirft er sich die junge, naive Lucy (Sandra Kouba) und schickt sie auf den Strich – was die aus grenzenloser Naivität, Gutgläubigkeit, Verliebtheit dann auch macht: Menschenversuche am lebenden Objekt. Die Inszenierung läuft meist auf Hochtouren, manchmal sogar etwas übertourig. Für ruhigere Töne sorgt vor allem Bubi Petrell, der den verständnisvollen Literaten („Ich schreibe einen Roman“) gibt, dabei aber zielgerichtet seine Freundin Marie gegen die flatterhafte Irene (Irmela Purvis) austauscht. Natürlich darf in dem Panoptikum auch der Außenseiter nicht fehlen: Der, wie der Name schon sagt, überständige Alt (Simon Fleischhacker) gibt in dem Treiben das enthobene geschlechtliche Neutrum. Nicht jeder Ton sitzt an diesem Abend, nicht jede Haltung stimmt – doch die Schüler der Theaterakademie machen ihre Sache bei unterschiedlichem Talent insgesamt gut. Und wer will, kann da schon die kommenden Schauspieler sehen.
„Krankheit der Jugend“ von Ferdinand Bruckner | R: Volker Lippmann | Theater Tiefrot | 4.-6./18.-20.5., 20.30 Uhr | www.theater-tiefrot.de
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