Während sich der gemeine Theaterbesucher auf den Frühling freut, weil damit endlich die langen Nächte des Winters vorbei sind, scheinen rheinische Theatermacher genau das Gegenteil zu betreiben. Sie arbeiten an monumentalen Inszenierungen, damit die Dunkelheit nicht aufhört, damit Vorstellungen sich als Fortsetzung der nächtlichen Traumvisionen in den Tag hinein verlängern. Und beschwingt und luftig soll es auch nicht werden, die für den Frühling geplanten Stücke sind eher brachial, wuchtig und zementschwer.
Eine Klassikerbreitseite mit Hang zur Überforderung erwartet die Zuschauer unmittelbar nach Karneval: In Bonn hat sich Schauspielchefin Alice Buddeberg zuletzt mit den Königsdramen William Shakespeares herumgeschlagen, jetzt nimmt sie sich als nächstes Großprojekt „Faust I“ vor. Der inzwischen ziemlich ranzig gewordene Nationalmythos, an dem sich trotzdem alle abarbeiten, galt in früheren Zeiten als Gipfelpunkt der Geistes- und Kulturgeschichte, als Sinnbild heroischen Durchhalte- und Erkenntniswillen – heute dominieren Fragen einer von ethischen Prinzipien freigesetzten Wissenschaft und Technik, eines schrankenlosen Kapitalismus, für den dieser titelgebende deutsche Erz-Wissenschaftler und Kapitalist steht.
Dass der Plot (Gelehrter verführt Minderjährige mithilfe des Teufels) allerdings ziemlich banal und alles andere als erhebend ist, hat schon Nietzsche erkannt: „Sollte dies wirklich der größte deutsche ‚tragische Gedanke‘ sein, wie man unter Deutschen sagen hört?“ Gerüchte sind hartnäckig. Das größte Problem ist aber eigentlich immer noch, dass der Faust-Mythos suggeriert, geschichtliche Prozesse kämen nicht durch machtpolitische Konflikte oder ökonomische Interessen in Gang, vulgo Konflikte, sondern durch den Charakter eines Menschen.
In Köln begibt sich das Schauspiel dagegen in die schwindelnden Höhen eines italienische Nationalepos: Sebastian Baumgarten dramatisiert Dante Alighieris „Die Göttliche Komödie“, das erste große literarische Werk in italienischer Sprache überhaupt. Der Höllen- und Paradiesritt aus dem frühen 14. Jahrhundert ist ein Roadmovie eines Dichters durchs Jenseits, der dort allen möglichen Künstler-Kollegen, Politikern, Päpsten und auch fiktiven Figuren begegnet. Ein Who is Who der Geschichte, Politik und Kunst, mit dem Alighieri sich selbst zu verorten versucht und zugleich ein unerbittliches sowie minutiös beschriebenes Bestrafungssystem der Hölle erfindet. Arno Schmidt sprach nach dem 2. Weltkrieg nicht minder drastisch von einem „Handbuch für KZ-Gestaltung“. Dass ausgerechnet der Dichter Vergil zum Führer durch diesen Untergrund wird, so wie dann Beatrice die Paradiesführung übernimmt, gibt außerdem zu denken. Und schließlich lässt sich die „Göttliche Komödie“ als Frage interpretieren, was christliche Todsünden damals waren und heute noch sein könnten.
„Faust“ | R: Alice Buddeberg | Theater Bonn | 17.4.(P) 19.30 Uhr |0228 77 80 08
„Die Göttliche Komödie“ | R: Sebastian Baumgarten | Schauspiel Köln | 11.4.(P) 19.30 Uhr | 0221 22 12 84 00
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