Körper und Geist, Oberfläche und Hintergrund, das sind die Gegensätze, die schnell bei der Hand sind, wenn es um Schein und Wahrheit geht. Jeder Tänzer des Michael Douglas Kollektivs hält ein schwarzes Holzbrett vor dem Körper, das einen menschlichen Schattenriss zeigt. Vorne flach und glatt wie ein Brett, dahinter der Mensch mit seinem lebendigen Körper, der Haut, den Muskeln. Gleich im ersten Bild der Inszenierung „Corpus Spiritus“, die gemeinsam mit dem Kölner Schauspiel produziert wurde, zeigt das Kollektiv in der Halle Kalk das Muster seiner Konzeption.
Eine Entscheidung von Regisseur Georg Reischl, die dramaturgisch sofort die Karten auf den Tisch legt. Dieses direkte Spiel mit den Gegensätzen setzt sich fort, man kontrastiert mit Licht und Schatten, tanzt im Mäntelchen oder ohne. Thematisch gibt es nicht mehr viel zu entdecken, wenn der Geist vom Körper getrennt wird, obwohl doch eines immer mit dem anderen gedacht werden muss. Die Dramaturgie bleibt der Schwachpunkt der Inszenierung, denn bald schon stehen die Tänzer nebeneinander, um ihre Soli zu zeigen. Drei Männer (Michael Maurissens, Douglas Bateman, Adam Ster) und drei Frauen (Flavia Tabarrini, Sabina Perry, Johanna Kasperowitsch), jeder mit einer anderen Körpersprache, aber im Bild bleibt ihre Aktion statisch. Das Unsichtbare will man zeigen, die Gefühle, den Geist, die Aura ̶ aber an solch komplexen Sujets kann man sich verheben. Treffend wird das Seelische als amorphe Bewegung dargestellt, die noch keine Gestalt besitzt. Nur die Kraft fehlt, das expressive, leidenschaftliche Moment.
Es wird schön getanzt. Warum schön? Weil den Bewegungen der Tänzer Ebenmaß innewohnt; geschmeidig, rund und makellos wird hier getanzt, niemand in Kölns Tanzszene vermag das derzeit in solcher Perfektion zu zeigen. Man greift auf das zurück, was die Truppe schon zu Zeiten Amanda Millers auszeichnete, makelloses Handwerk. Was fehlt, ist das Risiko, einen neuen Ansatz zu riskieren, den Tanz wieder neu für sich zu entdecken. Mit diesem Mut würde das Michael Douglas Kollektiv Großes bewegen können. Der Inszenierung von Georg Reischl fehlt dieser Schneid, das geht bis zum Schlussbild, wenn der Körper dann von allen Zeichen entblößt werden soll, aber die Tänzer irgendwie unentschlossen in ihrer Unterwäsche verharren. Da hat Karin Beier an gleicher Stelle mit den „Den Hässlichen, den Bösen und den Gemeinen“ schon gezeigt, was es heißt, den Körper bis auf die Knochen zu entkleiden. Zum Elementaren dringt „Corpus Spiritus“ trotz all seiner Bewegungseleganz nicht vor.
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