Sie zeigen sich den Betrachtenden laut, grimmig, farbenfroh, stumm, unsicher, meist fröhlich. Einige Kinder haben sich einen Bart gemalt, andere strecken frech die Zunge heraus, sind verhüllt, scheinen sich beinahe aufzulösen, auf nicht wenigen Bildern fehlt die Nase oder der Mund – als trauen sie sich nicht mit uns zu sprechen.
Es sind 259 Selbstportraits von Kindern aus zehn Städten, von denen ca. 45 Bilder in Köln gemalt wurden. Sie sind angeordnet wie ein Schneckenhaus, in dem der Aus- auch der Eingang ist, welche auf dem Boden dazu einladen, jedes einzelne Kind anzuschauen und zu versuchen herauszufinden, wer es ist und welche Geschichte es mitbringt. Empfehlenswert ist ein Besuch bei Sonnenschein, denn durch die Fenster der Kirche fallen Licht und Schatten in wunderbarer Weise auf die Bilder.
Vernissage
Die Vernissage am 12. August wurde von Herrn Otten, dem Pastoralreferenten von St. Gertrud, mit einem Zitat von Jabba Abdullah eröffnet, dem syrischen Autor und Künstler, der nach der berüchtigten Kölner Silvesternacht eine Demonstration unter dem Titel „Syrer gegen den Krieg“ organisierte und nun zu Gast war: „‘Wie gut duftet das Brot, das unsere Mutter uns früh am Morgen frisch aus der Bäckerei mitbrachte. Meistens bin ich extra früh aufgestanden, um das köstliche Brot noch heiß zu verzehren zu können. Zusammen mit einem Glas Tee war es der reine Genuss am Morgen. Ich vermisse dieses Frühstück, die Atmosphäre und die Ruhe und Frische. Ich vermisse die Stimmen und das Lachen der Frauen auf ihren morgendlichen Wegen. Ich vermisse auch unseren frischen Joghurt, den unsere Mutter regelmäßig ansetzte. Und ich vermisse das Gespräch mit ihr, wenn wir nach dem Aufstehen zusammen auf der Terrasse saßen und sie, in eine wärmende Decke gehüllt, mir Gesellschaft leisten.‘ Ersetze ich Tee durch Kakao und Joghurt durch Marmelade, fühle ich mich in meine eigene Kindheit versetzt.“ Otten lud ein, „in Zeiten, in denen das Individuum häufig übersehen wird und in Kollektivbegriffen wie ‚Krise‘, ‚Phänomen‘ oder ‚Problemen‘ gesprochen wird, sich Zeit zu nehmen und zuzuhören“ – und auch ein paar Stufen hinab in den Keller zu gehen, so ist ein weiteres Bild zu entdecken.
„Wir ermutigen die Kinder sich mit Pinsel und Farbe selbst zu gestalten“
Anschließend sprach Frau Schwarz, eine Künstlerin, die seit Beginn des Jahres mit SteinmetzInnen und BildhauerInnen Kinder in Kölner Geflüchtetenunterkünften mit den Kindern malt. Sie hat die Ausstellung in St. Gertrud organisiert: „Wir ermutigen die Kinder sich mit Pinsel und Farbe selbst zu gestalten und in die Öffentlichkeit zu gehen. Es wird viel über Flüchtlinge gesprochen, aber die Kinder kommen nicht zu Wort. Sie werden nicht gefragt und von ihren Eltern auf die Flucht mitgenommen.“
Prof. Luoke Chen, Lehrbeauftragter in Wuppertal und Taiwan, hat das Projekt „Ich bin ich – Art charity without borders“ gegründet, ist allerdings aktuell für einen Lehrauftrag in Taiwan. Er ist Mitte der 90er Jahre der Liebe wegen nach Wuppertal gekommen; dort hat der in Taiwan bereits renommierte Künstler Produktdesign studiert und einen Lehrauftrag für figürliches Zeichnen und Malen erhalten. Er hat die chinesischen Lehren verinnerlicht, wie Yin und Yan. Chen kennt das Gefühl des Heimwehs aus eigener Erfahrung, aber im Gegensatz zu den Kindern kann er jederzeit in seine Heimat. Schon immer arbeitete er gerne mit Menschen und ist interessiert daran, ihre Gesichter einzufangen. Da Malen und Schreiben in der chinesischen Kultur aufgrund der Bildschrift nah beieinanderliegen, lag die Idee nah, geflüchtete Kinder durch Selbstporträts von sich erzählen zu lassen.
Sie malen sich so, wie sie sich sehen
Frau Schwarz berichtete von den Nachmittagen in den Containern der Geflüchtetenunterkünfte in Worringen und Blumenberg, in denen die Kommunikation mit Pinsel und Farbe ohne Sprache funktioniert. In kleinen Gruppen bis fünf Kindern werde es ganz still, wenn sie sich mit Hingabe konzentrieren und dabei ganz in sich selbst versunken sind. In Gruppen ab sieben Kindern und je nach Tagesverfassung oder Bewegungsstau kann es auch schon mal unruhiger zugehen. Sie malen sich so, wie sie sich sehen oder gesehen werden möchten. Manchmal entstehen Bilder, aber keine Selbstporträts:
„Die Kinder kommen aus unterschiedlichen Ländern und sprechen verschiedene Sprachen. Und natürlich kommt es zu Streitereien, wie bei allen Kindern. Das jüngste Kind, welches ein Bild gemalt hat, war drei Jahre alt. Und von einem Vierjährigen habe ich ein ganz erstaunliches Bild erhalten. Wir haben auch mit 17-jährigen Jugendlichen gemalt, aber im Kern ist es ein Projekt für Kinder von fünf bis zwölf Jahren. Nun liegt es an uns, ihnen hier eine gute Zeit zu schenken. Wir zeigen ihnen Liebe, Mitgefühl und Solidarität und möchten durch unsere Ausstellung Menschen ermutigen, aufzubrechen, sich zu engagieren und durch das Angehen weiterer Projekte Menschlichkeit zu zeigen, je nach eigener Möglichkeit.“ Eine niederschwellige Idee ist es, mit den Kindern zu spielen. Frau Schwarz ist es ein merkbares Anliegen, dass die teilweise negativen Bilder von Geflüchteten, die sich in einigen Köpfen festgesetzt haben, überdacht werden. Sie sieht in den Bildern: „Schätze, Vielfalt, Zukunftsängste, Vergangenheitserzählungen, Enttäuschung, Traumata, Wünsche, Hoffnungen, Auflösungen. Diesem allen kann man in der Spirale begegnen.“
Kinder in Notunterkünften
Ich betrachte die Bilder, die fast an Holzschnitte erinnern und mit den Namen der Kinder versehen wurden: Ahmed, Malik, Zahra… Sie sind mal mit verschwenderischem Pinselstrich und vielen Farben gemalt, sie sind laut, bunt, füllen das ganze Blatt aus und nehmen sich Raum. Andere sind leiser, einfarbig und nehmen sich wenig Raum auf dem Porträt. Sie erinnern mich an meine Tätigkeit in der Kinderbetreuung in Notunterkünften, in Turnhallen, mit Freiraum e.V. Wie ich am ersten Tag nervös zu der Turnhalle ging und mich fragte, wie ich mich mit den Kindern verständigen können würde. In den ersten Minuten nach meiner Ankunft war die Nervosität verschwunden: Wir haben gepuzzelt, gebastelt, Memory gespielt, sind draußen herumgetollt, haben gemalt und auch diese Bilder wurden mit Namen versehen an die Wände der Turnhallen gehangen. Natürlich gab es beim Basteln auch mal Streit, wenn ein Kind die Schere benutzt hat, mit der das andere Kind spielen wollte. Aber der Streit war wie bei allen Kindern, schnell zu schlichten. Dies alles ohne die Sprache der Kinder zu sprechen. Es ist überwältigend, wie viel Verständigung nonverbal durch Mimik und Gestik möglich ist. Nicht nur, dass praktische Dinge erklärt oder Bedürfnisse geäußert werden können, sondern weit mehr. Nach wenigen Tagen kannten wir nicht nur die Namen und Familien, sondern auch die eigenen Charaktereigenschaften der Kleinen: Die einen sind frech, andere brauchen viel Aufmerksamkeit, wir kannten ihre Lieblingsspiele, wussten, wer gerne kuschelt… Wie alle Kinder brauchten sie Zuneigung, Selbstbestätigung und Lob. Jeden Morgen haben sie schon auf uns gewartet und kamen uns in die Arme gerannt. Sie konnten einem selbst sehr viel geben.
Das Projekt „Ich bin ich“ wurde bisher in Nordrheinwestfalen (Dorsten, Gelsenkirchen, Köln, Krefeld, Siegburg, Mönchengladbach, Neuss, Wuppertal), im brandenburgischen Glöwen und in Geflüchtetencamps in Xanthi (Griechenland) realisiert. Neben den Malnachmittagen in Geflüchtetenunterkünften wird dies in Zusammenarbeit mit Lehrern auch an Schulen durchgeführt. Die Idee und die interaktive Umsetzung sind sehr gelungen. Bis Sonntag kann die Ausstellung noch durchwandert und den Kindern in der Spirale begegnet werden. Auch wenn das Projekt vom Landesinnungsverband des Steinmetz- und Bildhauerhandwerks Westfalen-Lippe und Rheinland gefördert wird, benötigt es Spenden, um weiterzumachen. Diese können in der Kollekte hinterlegt werden.
„Ich bin ich. Selbstportraits von geflüchteten Kindern aus zehn Städten“ | bis 28.8., Do-So 15-20 Uh (Fr 26.8. 13.30 Uhr ist Prof. Chen vor Ort) | St. Gertrud Kirche und Kultur, Krefelder Str. 57 | Facebook-Seite
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