Tief in einem Gelände an der Oskar-Jäger-Straße in Ehrenfeld, zwischen Speditionen, Waschanlagen und Werkstätten, stößt der Verirrte plötzlich auf eine wichtige soziale Institution: den Verein „Coach“. Jugendliche mit Migrationshintergrund und junge Geflüchtete finden hier seit 15 Jahren kostenlos Unterstützung aller Art: schulisch, sozial, psychologisch, kulturell und lebenspraktisch. Um „Hilfe zur Selbsthilfe“ und die „Selbstermächtigung“ der Jugendlichen ginge es vor allem, erklärt uns der geschäftsführende Diplom-Sozialarbeiter Ahmet Sinoplu.
Die Story von Coach e.V. ist eine Erfolgsstory. Die „Kölner Initiative für Bildung und Integration Junger Migranten“ wird inzwischen von über 400 Jugendlichen von 12 bis 21 Jahren genutzt, somit bis hin zum Übergang ins Berufsleben. „In der Regel sind sie etwa 3 bis 5 Jahre hier“, sagt Sinoplu und verweist auch auf kleinere Außenstandorte in Bickendorf und Höhenberg. Das Team besteht heute aus 15 Hauptamtlern, 20 Honorarkräften und Minijobbern sowie rund 30 Ehrenamtlern. Gemeinsam würden 10 Sprachen beherrscht. Viele, die hier einmal Hilfe erhalten haben, engagieren sich heute selbst im Verein, etwa in der Hausaufgabenhilfe. Außer von Spendern wird die Arbeit des Vereins von Stadt und Land sowie von Stiftungen anerkannt und wesentlich unterstützt. Gründer Mustafa Bayram erhielt 2013 das Bundesverdienstkreuz.
Bayram habe damals erkannt, so dessen Nachfolger Sinoplu, „dass die Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte – insbesondere türkeistämmige, arabischstämmige – immer wieder in den sogenannten Maßnahmenprogrammen landen. Sie schaffen zum Teil ihre Abschlüsse nicht, zum Teil nicht einmal Hauptschulabschlüsse. Das kann eigentlich nicht sein. Die Jugendlichen haben mehr Potential. Wir müssen die viel früher erreichen, samt ihren Eltern, und präventiv, subjektorientiert arbeiten.“
Eltern würden alle das Beste für ihre Kinder wollen, aber oft nicht die Möglichkeiten, Strukturen und Rechte in Deutschland kennen. Gerade erst, so Sinoplu, habe der Verein über einen Widerspruch recht einfach die Versetzung einer Schülerin erreicht.
Studentinnen, die sich auf dem Außenhof auf eine Klausur vorbereiten, erzählen uns von Diskriminierungserfahrungen an Kölner Schulen. Die 20-jährige Aleyna, Tochter türkischer Eltern in Köln, sei zu Coach gekommen, weil sie „noch besser“ in Mathe werden wollte. Der rassistische Lehrer habe jeden Fehler genutzt, ihre Klausuren stark abzuwerten. Heute studiert sie Mathematik. Sinoplu bestätigt – wie auch die anderen Studentinnen –, dass Diskriminierung an Schulen Alltag und in wissenschaftlichen Studien gut belegt sei. „Darum ist unser Ansatz auch, die Diskriminierung als Realität anzunehmen und die Jugendlichen auf solche Erfahrungen vorzubereiten.“ Die Vision des Vereins sei heute die herkunftsunabhängige Chancen- und Bildungsgerechtigkeit. Eine Komponente der Vereinsarbeit ist die Sensibilisierung von Lehr- und Fachkräften aus pädagogischen Einrichtungen mit Vorträgen und Workshops.
Aber wie können Jugendliche das außerschulische Bildungsangebot, die Räumlichkeiten, die Gruppenprojekte und die Lebensberatung konkret in Anspruch nehmen? „Es ist kein Jugendzentrum, wo jeder kommt und geht, wann er will, sondern die Jugendlichen melden sich verbindlich an. Damit geht auch einher, dass die Eltern sich dazu bekennen und auch bereit sind, Elternseminare zu besuchen und die Elternarbeit mitzugestalten.“ Nur so komme man zum Ziel, für die Familien und Jugendlichen Teilhabe an der Gesellschaft zu erreichen.
Coach e.V. | Oskar-Jäger-Str. 139 | 0221 54 65 625
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