„Anstrengende Schichtarbeit, psychische Belastung, geringe Wertschätzung und kaum Aufstiegschancen. Dafür im Gegenzug: niedriger Lohn. Interesse?“
So oder ähnlich müsste derzeit eine ehrliche Stellenanzeige für den Pflegeberuf in Deutschland lauten. Kein Wunder, dass immer weniger Menschen dieser Arbeit nachgehen wollen. Ein Trend der dramatische Konsequenzen hat: Aktuell fehlen in Deutschland etwa 50.000 Pflegekräfte – Tendenz steigend. Gesundheitsminister Jens Spahn hat daher im vergangenen Jahr ein Maßnahmenbündel auf den Weg gebracht, die „konzertierte Aktion Pflege“. Eines Vorhaben ist, verstärkt Pflegefachkräfte aus dem Ausland anzuwerben.
Auf dieser Rekrutierungsmission wandelnd ist Jens Spahn im vergangenen Monat in die kosovarische Hauptstadt Priština gereist, um dort eine private kosovarisch-deutsche Pflegeschule zu besuchen:„Bin beeindruckt von der Motivation der Pflegeschüler”,schrieb der Gesundheitsminister danach in sein Twitter-Reisetagebuch. Die Bewegtbilder der Reise belegen: Viele der jungen Auszubildenden träumen davon, in Deutschland zu arbeiten. Kommunikationsprobleme? Pustekuchen! Deutschunterricht ist hier Teil der Pflegeausbildung. Beflügelt von den positiven Eindrücken will Spahn einen institutionellen Rahmen für eine intensivierte Kooperation schaffen.
Auf den ersten Blick wirkt das alles rund – strahlende Gesichter auf beiden Seiten. Aber ob das Konzept tatsächlich eine Win-win-Situation darstellt die nachhaltig ist, ist fraglich. 14 Euro Mindestlohn (den Spahn im Pflegebereich einführen will), mögen zwar für die kosovarischen Pflegeschüler viel scheinen, könnten sich in Deutschland allerdings schnell relativieren. Zudem sind die hiesigen Arbeitsbedingungen für ausländische Pflegekräfte nicht minder prekär, nur weil sie aus der Heimat teils noch schlechtere Standards gewöhnt sind. Nochmals zur Verdeutlichung: In Deutschland haben Zehntausende den Beruf verlassen. Es mangelt genau genommen nicht an Interesse für den Pflegeberuf, vielmehr sind viele nicht mehr willens oder in der Lage, unter den jetzigen Bedingungen weiterzuarbeiten.
Forciert eine solche Anwerbung also eine Art Zweiklassen-Arbeitsgesellschaft? Im Sinne von: Für die Jobs, die hierzulande (zu recht!) keiner mehr machen will, holen wir uns einfach Menschen aus ärmeren Ländern? Ein Vorwurf, der etwas überzogen klingen mag. Fest steht: Der Minister hat offensichtlich keine Hemmungen, aus den schlechteren Lebensverhältnissen der Menschen im Kosovo Profit zu schlagen. Zur Verteidigung heißt es zwar, Deutschland würde, indem es die Ausbildungen mitfinanziert, auch zurückgeben. Und man arbeite daran, die hiesigen Arbeitsbedingungen zu verbessern. Von kosovarischer Seite werden allerdings weitere Bedenken geäußert: Die vermehrte Abwanderung der jungen Generation (die ja ohnehin schon im Gange ist) ist für die heimische Wirtschaft und die Sozialsysteme höchst problematisch.
Gegen den Pflegenotstand muss dringend etwas getan werden. Und positive Anreize für Migration zu setzen, ist gewiss kein Verbrechen. Allerdings bedarf es dabei politischer Weitsicht und fairer Berücksichtigung aller Konsequenzen. Lösungen? Ja. Auf Kosten Dritter? Nein.
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