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Flucht nach Portugal?
Foto: Kruwt / Adobe Stock

Willkommenskultur statt Abschottung

28. August 2019

In Portugal wünscht man sich mehr Flüchtlinge – Europa-Vorbild: Portugal

„Bem-vindo a Portugal“ (Willkommen in Portugal): Mit offenen Armen sehnt man in Portugal Flüchtlinge herbei und stellt mit dieser Aufnahmebereitschaft in Europa eine große Ausnahme dar: Schließlich nehmen bekanntlich die meisten anderen Staaten nur widerwillig Flüchtlinge auf, oder weigern sich komplett, die Menschen in Not in ihr Land zu lassen – wie es etwa einige osteuropäischen Staaten praktizieren. Portugal hingegen erklärt sich immer wieder bereit, Menschen von Seenotrettungsschiffen aus dem Mittelmeer aufzunehmen, hat sein Einwanderungsgesetz gelockert, sodass auch illegale Migranten leichter eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung bekommen können und spricht sich für eine EU-weite Quotenregelung zur Verteilung von Flüchtlingen aus. Man will nicht nur seinen Teil beitragen, im Sinne einer humanitären Verpflichtung, sondern möchte noch mehr Menschen aufnehmen, als man laut einer Quote müsste.

Doch gibt es trotz dieser offenen Migrationspolitik keine großen Flüchtlingsströme in das westlichste Land Kontinentaleuropas. Es existiert praktisch kein Migrationsdruck. Zwischen 2016 und 2018 hätte man gerne 3.000 Flüchtlinge aufgenommen. Tatsächlich kam aber nur etwa die Hälfte. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen: So ist Portugal vielen Flüchtlingen nur wenig bekannt. Es liegt auch nicht auf einer der gängigen Flüchtlingsrouten und es gibt dort keine arabischsprachige Community, in der man beispielsweise als Syrienflüchtling leichter Anschluss finden könnte. Außerdem ist Portugal eines der ärmsten Länder in Westeuropa. Das Lohnniveau ist niedrig, die Arbeitslosigkeit hoch und der Sozialstaat anderswo stärker. Vor allem die ländlichen Gegenden sind strukturschwach. Da zieht es viele Menschen eher nach Deutschland, Skandinavien, Frankreich oder Großbritannien, wo man hofft, mehr Geld verdienen zu können.

Dabei könnten Migranten Portugal bei seinen Problemen mit dem demographischen Wandel helfen: Die portugiesische Gesellschaft altert. Die Geburtenrate ist niedrig und viele Portugiesen sind in den vergangenen Jahren ausgewandert – aufgrund der wirtschaftlichen Situation: Die Finanzkrise hat Portugal besonders schwer getroffen, was eine hohe Arbeitslosigkeit und unpopuläre Sparmaßnahmen zur Folge hatte. In Flüchtlingen sieht man also keine Bedrohung, sondern eine potentielle Hilfe hinsichtlich struktureller Probleme.

Nicht nur darum werden die Flüchtlinge, die in Portugal ankommen, besonders gastfreundschaftlich behandelt: Beispielsweise versucht man durch so genannte One-Stop-Shops, in denen mehrere Ämter vereint sind, die Bürokratie zu vereinfachen. Auch bei der Arbeitsvermittlung, dem Familiennachzug und der Einbürgerung der zweiten Generation ist man zuvorkommend. Und grundsätzlich ist in der portugiesischen Bevölkerung fast keine Fremdenfeindlichkeit zu spüren. Im Gegenteil: Migration wird von den meisten Menschen positiv bewertet und es wird als selbstverständlich angesehen, dass Immigranten, vor allem aus ehemaligen portugiesischen Kolonien wie Kap Verde, Mosambik oder Angola in Portugal leben.

Bis zur so genannten Nelkenrevolution im Jahr 1974 herrschte in Portugal außerdem eine faschistische Diktatur. Vor diesem historischen Hintergrund werden Rechtsextremismus und Rechtspopulismus von den meisten Portugiesen strikt abgelehnt. Im Gegensatz zum Rest Europas gibt es auch keine entsprechende Partei im portugiesischen Parlament. Allerdings könnte sich das mit der Partei Chega bei der Parlamentswahl im Oktober 2019 ändern. Doch auch bei dieser Wahl dürfte voraussichtlich der Sozialist António Costa als Ministerpräsident wiedergewählt werden. Unter seiner linken Minderheitsregierung konnte die Arbeitslosigkeit verringert und die Wirtschaft (insbesondere die Tourismusbranche) gestärkt werden. Das dürfte sein Land dann auch für Flüchtlinge attraktiver machen.

[Update nach der Wahl: Die rechtspopulistische Chega erreichte 1,3 Prozent der Stimmen und erhielt einen Sitz im Parlament. Costas Sozialistische Partei wurde mit 36 Prozent wieder stärkste Kraft und er blieb Ministerpräsident.]

Jan Turek

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