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30. Januar 2025

Wie Bürger:innenräte die irische Demokratie fit halten – Europa-Vorbild Irland

Weltanschauung und Wahlentscheidung passen nicht immer zueinander. Gewählt wird gerne die Person oder Partei, der man am meisten vertraut, die man für besonders kompetent hält oder am sympathischsten findet. Wenn sich Poliker:innen und Wähler:innen aber darüber hinaus entfremden, bleibt das nicht ohne Folgen. Vor allem, wenn in der Regierungsarbeit die eigenen oder Parteiinteressen eine größere Rolle spielen, als der konstruktive Umgang mit Sachverhalten – das Verhalten, an dem zuletzt Deutschlands Ampel-Koalition gescheitert sein soll.

Querschnitt der Gesellschaft

Wie durch Bürger:innenbeteiligung Vertrauen in demokratische Prozesse gefördert und Sachfragen vorangebracht werden können, zeigt die irische Citizen’s Assembly (CA) (Bürger:innenversammlung). Seit 2016 gibt es sie als Neuauflage eines Gremiums, das von 2012 bis 2014 getagt hatte, um über Verfassungsänderungen zu beraten. Während der Vorgänger zum Drittel aus Mitgliedern des Oireachtas, des irischen Parlaments, bestand, setzt sich die CA aus Mitgliedern der Zivilgesellschaft zusammen. Zudem wird das Gremium nicht nur in Verfassungsfragen einberufen. Themen, zu denen bisher beraten wurden, sind Gleichstellung,dasWahlrecht oderdieRente.

Das Modell der CA ist nicht unumstritten: Kritiker:innen weisen daraufhin, dass die Teilnahme viel Zeit kostet. Mitmachen kann nur, wer sich Extratermine an Wochenenden leisten kann.

Das irische Beispiel zeigt allerdings eine Möglichkeit, wie sich die Zivilgesellschaft für einen transparenteren Politikstil stark machen kann.

Der Ablauf: An zufällig gewählte Adressen werden Einladungen zum Auswahlverfahren gesendet. Mithilfe demografischer Daten werden aus den Interessierten dann etwa 100 Personen bestimmt, die einen Querschnitt der irischen Gesellschaft repräsentieren sollen. Die treffen sich dann über einige Monate hinweg an Wochenenden, um das Thema der Versammlung zu recherchieren, Expert:innen anzuhören und eine gemeinsame Haltung zu entwickeln. Ihre Ergebnisse werden in einem Empfehlungspapier an den Oireachtas festgehalten. Weder Abgeordnete noch Regierung sind an die Vorschläge der Versammlung gebunden, wohl aber verpflichtet, sie im Parlament zu diskutieren und Stellung zu beziehen. So kam es 2018 dazu, dass das katholische Irland mit einer Lockerung des Abtreibungsverbots international Aufsehen erregte – auf die Empfehlungen der CA folgte ein Referendum, in dem die Bevölkerung über die Rechtslage abstimmen konnte.

Privileg Zeit

Momentan berät der Oireachtas zu zwei Papieren der CA. Im Juni wurde ein Komitee eingerichtet, das vorgeschlagene Reformen in der Drogenpolitik diskutiert. Für Interessierte werden Transkripte und Videoaufnahmen der Sitzungen auf der Internetseite des Parlaments zur Verfügung gestellt. Weiter ist man mit den Empfehlungen zum Schutz der Artenvielfalt: Im November erhielt die irische Regierung Lob von der Musikerin und Moderatorin Ní Shúilleabháin, die der CA zu diesem Thema vorsaß: Von 159 vorgeschlagenen Maßnahmen würden 15 bereits umgesetzt, 134 weitere seien in Bearbeitung.

Das Modell der CA ist nicht über jeden Zweifel erhaben: Kritiker:innen weisen daraufhin, dass die Teilnahme an den Versammlungen viel Zeit kostet. Mitmachen kann also nur, wer sich die Extratermine an den Wochenenden leisten kann. Und auch Parlament und Regierung ernten für ihren Umgang mit dem Gremium nicht nur Lob.

Demokratie ist eben anstrengend und der Weg von der Fortschrittsidee bis zur Gesetzesänderung selten ein Spaziergang. Für stabiles Vertrauen in demokratische Prinzipien, braucht es politische Entscheidungsträger:innen, die sich verantwortlich und transparent zeigen und Sachpolitik dem Taktieren für die eigene Partei vorziehen. Das irische Beispiel zeigt eine Möglichkeit, wie sich die Zivilgesellschaft für einen solchen Politikstil stark machen kann.

Anna Kox

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