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Pfarrer Mörtter mit geschmolzenen Playmobil-Luthers auf dem Chlodwigplatz

Blick nach vorne

04. November 2017

Aktion „Reformation II“ von Pfarrer Hans Mörtter am Reformationstag – Spezial 11/17

„Wir müssen reformatorisch neu unsere Zukunft gestalten“, sagt Pfarrer Hans Mörtter von der Lutherkirche, „zu der eine völlige Neuorientierung und globale Perspektive gehört.“ Am Reformationstag veranstalteten er und Kurator Rochus Aust mit einigen Helfern eine Aktion mit dem Titel „Reformation II“. Auf dem Chlodwigplatz zu Mittag tauchte Mörtter mit zerschmolzenen Playmobilfiguren auf, die, bevor sie in teilnehmenden Orten und Städten Europas auf Kochstellen erhitzt worden waren, einmal Luther dargestellt hatten. Die auf Veranlassung der Evangelischen Kirche in Bayern hergestellte Figur hat sich über eine Million Mal verkauft. Mörtter ist das nicht geheuer. Luther würde mit Blick auf die Welt von heute sagen: „Was soll der ganze Scheiß! Jetzt macht doch!“, glaubt Mörtter. Er nahm sich ein Beispiel an Luthers Verbindung von Worten mit einem (nicht verbürgten) „performativen Akt“ und unterstrich an diesem Tag die Zusammengehörigkeit aller Menschen. Er rief zu Gemeinschaftlichkeit und gemeinsamen Anstrengungen auf, es sei „stinklangweilig“, einfach nur 500 Jahre zurückzuschauen.

Von dem öffentlichen Platz aus, an dem 1992 das erste „Arsch huh“-Konzert ein Signal gegen Hass setzte, rief er zu einer Prozession zur Lutherkirche auf, die als „Vorwegnahme von Zukunft“ von „ausgewählten Klängen der Weltreligionen“ begleitet wurde: Futuristische Helfer in gelben Schutzanzügen sandten die Klänge durch Luftschacht-ähnliche Tonanlagen in Marschrichtung. Kreisförmig erwarteten die über 100 Teilnehmer im Kirchhof Großbuchstaben aus „geflossenen Luthers“, die innerhalb von 95 Stunden eingetroffenen waren. An Steinsockeln angebracht, ergeben die Anfangsbuchstaben der Städte – nach Füllung letzter Lücken – die 95 Buchstaben einer neuen „grundsätzliche Ansage“: „Für uneinschränkbare Nächstenwürde mit respektvollster Menschenliebe und grenzenlosestem Grundvertrauen“. Das „Denkmal Luther“ sei damit „transformiert auf ein globales Menschsein hin“, so Mörtters Gedanke.


Mit den Thesen-Lettern an der Lutherkirche

Seine Rede im Vorhof hatte viel von einer Predigt, ging aber doch weit darüber hinaus. Hier, außerhalb des Gotteshauses, ließ er menschlichen Frust deutlich werden, ging mit der Kirche in ihrer heutigen Form, vor allem aber mit einer zu willfährigen Gesellschaft ins Gericht und nannte dabei die Dinge beim Namen. Dabei war er prinzipiell in guter Stimmung, schon wegen der guten Resonanz auf die Aktion. Seine Vision einer besseren Welt steckt in der These. Mit den drei enthaltenen Begriffen als Schlüssel könne man „jede Herausforderung unserer Zeit angehen“. Dazu zählte er Armut, Flucht und Rechtsextremismus. Die Ausländergesetzgebung sei „integrationsfeindlich“. In den vergangenen Jahren hatte er immer wieder die Öffentlichkeit gesucht und auf Flüchtlingsschicksale hingewiesen, mit denen er zu tun hatte. „ ‚Wir schaffen das‘ – da hat die Kanzlerin nie zu gehört.“ Die Menschen, die Geflüchteten helfen, würden stattdessen „in vielen Fällen alleingelassen von der Bürokratie“, mit der man „sich reiben“ müsse, um bestimmte Abschiebungen zu verhindern.

„Grenzenloses Grundvertrauen“ bedeute: „Alles ist möglich, wir müssen es nur wagen zu tun!“ Der Aktionstag markiere einen Anfang, man werde „Bündnisse schmieden und am Ball bleiben“. Mörtter hoffe, dass „ein neuer Diskurs um unser Menschsein auf Zukunft hin entsteht“.

Mit drei auch im Netz veröffentlichten „Aufrufungen“, die er vor Ort nicht mehr „Thesen“ nennen wollte, richtete er sich an die Besucher, mit der Hoffnung an diesem Tage Wellen zu schlagen, die weiter reichten. Die erste lautet: „Luthers Reformation mit der Wiederentdeckung des gnädigen Gottes führt konsequent zur mutigen Freiheit des gnädigen Menschen in respektvollster Menschenliebe, zur Reformation II. Entsprechend der jesuanischen Goldenen Regel ‚Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch!‘ (Lukas 6, 31) und dem kategorischen Imperativ von Immanuel Kant.“ Seine Erläuterungen dazu bezogen sich wiederum auf die Lage der Flüchtlinge und die historisch gewachsene Bereitschaft in Deutschland, sie aufzunehmen.

Die zweite Punkt: „Der ‚Antichrist‘ der Moderne ist die kannibalische Weltordnung, die Gier der Kapital-Märkte, die Herrschaft der Finanzoligarchie und der transkontinentalen Agrarkonzerne.“ Unter anderem nennt er Monsanto und Bayer beim Namen – „in unserer direkten Nachbarschaft“ – und zitiert Jakob Augstein: „Die westliche herrschende Lebensart verkörpert den größten bewussten Terrorismus aller Zeiten.“ Mit Verweis auf Globalisierungskritiker Jean Ziegler, den er 2018 in der Kirche zu begrüßen hoffe, verglich er Hungersnöte „auf einem Planeten, der vor Reichtum überquillt“ mit Massenmord. Menschsein sei „nur in globaler Geschwisterlichkeit möglich“, denn Menschlichkeit sei – wiederum mit Verweis auf Kant und Ziegler – nur gegeben, wenn nicht andere gleichzeitig Unmenschlichkeit erfahren würden. „Wir selber gehen drauf, wenn wir nur zugucken. Wir verlieren uns selbst.“


Dies alles könne nicht mehr hingenommen werden, erst recht nicht von Christen. Er wolle „Aufstand, nicht innere Besinnlichkeit“ und erinnerte an die Anfänge des Christentums, als die Christen „therapeutes“, also „die Heilenden“ genannt worden seien. „Es ist Zeit, sich an diesen jesuanischen Ursprung zu erinnern.“

Der dritte Punkt betrifft stärker die Kirchen: „Es ist Zeit für eine neue globale Ökumene. Glaube ist kein statischer Besitz der christlichen Kirchen. Wir lassen uns nicht mehr zu Sklaven der Angst machen.“ Dazu erläuterte er, Ökomene fände „schon lange im wirklichen Leben an der Basis statt, egal, was die da oben sagen“. In beiden Kirchen seien Menschen längst unabhängig von ihrer Glaubensrichtung willkommen „und gehören selbstverständlich dazu“. Es gebe nur einen Gott, der „in jedem Menschen zu finden“ sei und zu dem die unterschiedlichen Weltreligionen unterschiedliche „kulturelle Zugänge“ gewonnen hätten. „Gott ist kein Besitz einzelner Religionen.“ Eine engere Verbindung der Religionen würde zu einer „neuen globalen Wir-Identität“ führen, die der hauptsächlich ökonomischen Globalisierung als „Pendant“ entgegentreten könnte. Glaube müsse mehr sein als Dogmen und Lehrsätze, „die kein Mensch mehr versteht“. Die daraus resultierende „große Entfremdung des modernen Menschen von der Kirche“ sei fatal, denn „Formen von Kirche“ seien notwendig. Die Kirche müsse sich in engerer Beziehung zu den Menschen „kommunikativ erneuern“ und das „Bedürfnis der Menschen nach Sinn und Spiritualität“ ernstnehmen.

Gegen die „Angst als Herrschaftsinstrument“, das man etwa der AfD nehmen müsse, führte Mörtter den Ausspruch der biblischen Engel an: „Fürchtet euch nicht.“ Man solle klug und aktiv handeln, anstatt sich Angst machen zu lassen. So wie er die Besucher ermutigte, das Leben wieder in die Hand zu nehmen, würden sich viele evangelische und katholische Gemeinden weiterhin „dem Bundesinnenminister wiedersetzen und trotz schwerer Sanktionen, nämlich finanzieller Art, Menschen vor gnadenloser Abschiebung durch ein Kirchenasyl in Schutz nehmen“. Seine Rede endete mit einer Ermutigung zur Lebensfreude, einer Einladung zum Beisammensein und einer Bitte um Spenden.

Aktion „Reformation II – L 95h - 95 Stunden · 95 Orte · 95 Buchstaben · 1 These“ | www.lutherkirche-koeln.de/reformation-ii

Text/Fotos: Jan Schliecker

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