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Traktoristin im „Arbeiter- und Bauernstaat“: Bronzeskulptur von Bildhauer Walter Arnold
Foto: Martin Magunia

Schöne neue Erinnerungen

30. Mai 2018

„Deutsche Mythen seit 1945“ im Bonner Haus der Geschichte – Kunstwandel 06/18

Was einst durch Mundpropaganda über Jahrhunderte ins kollektive Gedächtnis eines Volkes wanderte, rast heute im Millisekundentakt an ihm vorbei, hängen bleibt dort nur noch das, was durch niemanden inthronisierte Geschichtsschreiber und Medien endlos wiederholt wird. Im Bonner Haus der Geschichte dokumentiert das die Ausstellung „Deutsche Mythen seit 1945“ in Perfektion. Schon beim Eintritt in die in Gedanken schwarzrotgold installierte Schau schreit einem Herbert Zimmermanns „Rahn schießt“ entgegen und unterstellt damit sofort und richtig – der allumfassende Mythos für Millionen Deutsche Bundesbürger ist momentan das Millionenspiel in den Kolosseen der Republik.

Gleich nach der „eigentlichen“ bundesrepublikanischen Staatsgründung im Berner Wankdorf-Stadion wandert die Bonner Schau in die Gründungsmythen der DDR, stramm antiimperialistisch, natürlich einzig antifaschistisch und wie von selbst sowjetkommunistisch (hier ein Honecker-Zitat, dort Gucklöcher ins sozialistische Sowjet-Elend in Wilnsdorf und Karlshorst). Weiter marschieren die Parolen: Das Vermächtnis an den Widerstand im Dritten Reich „lebt in unserer Tat“. Dazu die „Traktoristin“ in Bronze von Walter Arnold, Schlagwort: Junkerland in Bauernhand! Auch nur ein Mythos: Denn schon kurz nach 1989 hatte sich das wieder erledigt: Die „blühenden Landschaften“ - auch dieses Kohl-Zitat ist natürlich Bestandteil der gesamtdeutschen Erinnerungskultur – sind längst in Wessi-Hand und blieben so Teil einer mythischen Zukunftsvision.

Ab jetzt wird es auch austellungsdidaktisch gesamtdeutsch, kurz noch Friedensbewegung und erste ökologische Ansätze, dann die echten Mythen, die es auch ins 3. Jahrtausend nach Mauerfall schaffen werden: die heilige Kuh D-Mark und der heilige (millionste) Käfer von 1955, das erbärmliche Thema Flaschenpfand übergehen wir geschickt. Die neue grüne FDP wird sicher nie im kollektiven Gedächtnis stecken bleiben, und der einstige Ludwig-Erhard-Slogan „Wohlstand für alle“ ist nicht einmal mehr in seiner Partei eine Erinnerung wert. Kommen wir zu Europa in der Ausstellung. Mit dem griechischen Mythos von der Tochter des Phoinix hat das Konstrukt wenig zu tun, aber es ist die Hoffnung schlechthin für die Zukunft des Kontinents. Und schon wedeln die Deutschen wieder mit ihrer Lieblingssportart – dem Fahnenschwingen. War es einst verpönt – man kann ja mal zwei drei Stellagen zurückrennen – so ist das Schwarz-Rot-Gold wieder schwer auf dem Vormarsch, obwohl „Wir sind Deutschland“ oder „Wir sind Papst“ es über eine Titelseite nicht hinaus geschafft haben und mit etwas bösem Humor wenigstens in die großartige „Deutsche Mythen seit 1945“ geschafft haben, aber eben nur als geplatzter Mythentraum, ein Ergebnis, das die europäischen Mythen hoffentlich nicht vor sich haben, wenn man bisher auch nur die ausgestellte, etwas ältere Friedensnobelpreisurkunde (2012) vorweisen kann. Ansonsten gibt es da nix, und so geleitet uns die Eiserne Kanzlerin hinaus,  bei gedämpftem Licht vorbei an Cherusker-Gartenzwergen, dem kleinen Gallier und dem ollen Barbarossa. Und man hört längst schon wieder Herbert Zimmermann schreien.

Deutsche Mythen seit 1945 | bis 14.10. | Haus der Geschichte Bonn | 0228 916 50

PETER ORTMANN

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